07.01.2013 Aufrufe

Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Lehmbruch · Verbändesystem zwischen Unitarismus und Föderalismus 273<br />

Wenn in unserem Zusammenhang von Zentralisierung der Arbeitsbeziehungen<br />

die Rede ist, dann interessiert natürlich in erster Linie die räumlichterritoriale<br />

Dimension. Aber wir müssen im Auge behalten, dass in der vergleichenden<br />

Forschung über Arbeitsbeziehungen auch die intersektorale<br />

Dimension von Zentralisierung eine wichtige Rolle spielt. Wenn man ein<br />

Tarifvertragssystem als zentralisiert bezeichnet, dann hat man oft eher diese<br />

zweite Dimension im Auge. Schweden in den ersten Jahrzehnten nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg ist ein geläufiges Beispiel, weil die Tarifverhandlungen<br />

von den nationalen Dachverbänden der Industrie und der Gewerkschaften<br />

geführt wurden und die zentralen Abschlüsse <strong>für</strong> alle Branchen maßgebend<br />

waren. Ihre landesweite Geltung verstand sich in einem kleineren, einheitsstaatlich<br />

verfassten Lande dann im Grunde von selbst. Für Deutschland<br />

muss man hingegen die beiden Dimensionen im Auge behalten, denn die<br />

Arbeitsbeziehungen scheinen hier sowohl auf der intersektoralen als auch<br />

auf der räumlichen Dimension stark dezentralisiert zu sein. Hier wird uns<br />

vornehmlich die zweite Dimension beschäftigen.<br />

Ein institutionalisiertes System der kollektivvertraglichen Arbeitsbeziehungen<br />

hat sich in Deutschland relativ spät entwickelt. Die Koalitionsfreiheit<br />

war zwar 1869 <strong>für</strong> den Norddeutschen Bund (und in der Folge <strong>für</strong> das<br />

neugegründete Deutsche Reich) eingeführt worden, wurde aber durch die<br />

Sozialistengesetzgebung wieder drastisch eingeschränkt. Gegen die repressive<br />

Regierungspolitik hatten allenfalls lokale Organisationen eine Chance.<br />

Nach der Aufhebung der repressiven Gesetzgebung 1890 setzte sich aber bei<br />

den freien (sozialdemokratisch orientierten) Gewerkschaften sehr schnell<br />

das Prinzip der reichsweiten organisatorischen Zentralisierung durch, und es<br />

wurde alsbald von den anderen Richtungsgewerkschaften übernommen. Das<br />

berufsgewerkschaftliche Organisationsprinzip behauptete sich länger; indes<br />

waren am Vorabend des Ersten Weltkrieges schon 70 Prozent der Mitglieder<br />

der freien Gewerkschaftsbewegung in sieben mitgliederstarken Industrieverbänden<br />

organisiert (Schönhoven 1987: 58–59, 61–67).<br />

Die gewerkschaftliche Zentralisierungsbewegung war in erster Linie eine<br />

Reaktion auf die Konzentrationsbewegung bei den Arbeitgeberverbänden<br />

und deren Erfolge bei der konzertierten Bekämpfung gewerkschaftlicher<br />

Aktivitäten (Schönhoven 1980: 331–376). Das Organisationsprinzip des<br />

»Lokalismus« war der effektiven Koordination der Arbeitgeberseite nicht<br />

gewachsen; insbesondere <strong>für</strong> die Unterstützung örtlicher Gewerkschaftsverbände<br />

in Arbeitskämpfen bedurfte es einer zentralisierten Gewerkschaftsorganisation.<br />

Die Zentralisierungsprozesse bei den Gewerkschaften und die<br />

Koordinierungsbemühungen auf der Arbeitgeberseite verstärkten sich wech-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!