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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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298 V · Erklärung und Verallgemeinerung<br />

Lebensformen nicht alle Anhöhen der Landschaft repräsentieren, sondern<br />

viele Regionen einfach noch unentdeckt sind. In dieser Landschaft kann<br />

man zwar hin und wieder Bereiche identifizieren, die auf Grund von »Verstößen<br />

gegen Naturgesetze« unangepasst sind. Aber selbst die von Naturgesetzen<br />

»erlaubten« topologischen Regionen sind riesig. Hinzu kommt das<br />

Problem, dass es schwierig ist, von der Anpassungsfähigkeit einer Form auf<br />

die Anpassungsfähigkeit strukturell ähnlicher Formkombinationen zu schließen,<br />

weil selbst marginale Veränderungen Verstöße gegen Naturgesetze sein<br />

können. In der Sprache von Kauffman (1993, 1998) ist diese Landschaft<br />

»zerklüftet«. Wissen über einen topologischen Ort enthält wenig Informationen<br />

über benachbarte Orte. Ein kleiner Schritt in die falsche Richtung kann<br />

in einer zerklüfteten Gebirgslandschaft einen tiefen Absturz bedeuten.<br />

Das Modell der Fitness-Landschaft macht Evolutionsprozesse nicht nur<br />

anschaulicher, sondern präzisiert auch die Vorstellung, warum historische<br />

Prozesse hoch kontingent sind. Begreift man ein Entwicklungsergebnis als<br />

Endpunkt einer riesigen Sequenz von Suchschritten, dann wird klar, dass<br />

der Möglichkeitsraum von Pfadalternativen quasi unendlich ist. Selbst wenn<br />

man, wie noch gezeigt wird, einen historischen Prozess als eine Kette rationaler<br />

Entscheidungen betrachtet, dann können die beteiligten Entscheider,<br />

solange sie nicht die Perspektive eines übernatürlichen Wesens einnehmen<br />

und die gesamte Topologie überschauen, ihre Entscheidungen immer nur<br />

mit lokalem Wissen fällen. Eine vermeintlich bessere Entscheidung in einer<br />

frühen Sequenz kann im Endergebnis in eine suboptimale Sackgasse führen.<br />

Eine zwingende Konsequenz bei historischen Entwicklungsprozessen ist,<br />

dass jede Veränderung in der Entwicklungsfolge, wenn man nicht von einem<br />

teleologischen Weltbild ausgehen will, die nachfolgenden Sequenzen verändern<br />

wird. Das Endresultat ist im Prinzip durch jede Sequenz des Entwicklungsprozesses<br />

bedingt. Jeder kleine oder große Zufall, der zu einer anderen<br />

Suchfolge führt, wird daher das Endresultat verändern. Jede hinreichend<br />

lange Ereigniskette, die gegenwärtige Zustände oder Formen mit ihrem genetischen<br />

Ursprung verknüpft, ist somit immer einmalig. Wenn es möglich<br />

wäre, den Evolutionsprozess unter identischen Ausgangsbedingungen neu<br />

zu starten, dann würde er zu einem anderen Ergebnis führen (Gould 1989).<br />

2.3 Verhaltensoffenheit<br />

Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass es extrem schwierig ist,<br />

komplexe Entwicklungsereignisse in der Natur auf der Basis des deduktiven

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