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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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166 III · Die Handlungsfähigkeit der Demokratie<br />

Dem ist entgegenzuhalten, dass die politischen Institutionen und politischen<br />

Prozesse auf nationalstaatlicher Ebene auf große Veränderungen, wie<br />

Internationalisierung und zunehmende Transnationalisierung der Politik,<br />

nicht nur passiv reagieren. Genau dies wird in den neuesten Beiträgen der<br />

komplexen Demokratietheorie deutlicher als zuvor gesehen (<strong>Scharpf</strong> 1999a,<br />

1999b). Wehrlose Hinnahme von extern vorgegebenen Veränderungen ist<br />

nur eine Möglichkeit unter anderen. Neben ihr existieren vier weitere Optionen:<br />

erstens Ausnutzen externer Schocks durch Trittbrettfahren; zweitens<br />

Gegenwehr, zum Beispiel durch Errichtung protektionistischer Schutzwälle;<br />

drittens aggressive Strategien auf internationalen Märkten auf der Grundlage<br />

nationalstaatlichen Mitteleinsatzes; und viertens konstruktive Elastizität,<br />

bei der neue Herausforderungen als Gelegenheit zur Reform genutzt werden<br />

(Cooper 1986: 9–12). Alle fünf Reaktionsformen stehen grundsätzlich zur<br />

Wahl, im Gegensatz zur Unterstellung, es gäbe nur die passive Hinnahme.<br />

Dass alle Reaktionsformen im Rahmen der komplexen Demokratietheorie<br />

grundsätzlich sondiert werden können und zum Teil auch tatsächlich geprüft<br />

werden, gehört zu den Vorteilen dieser Lehre und unterstreicht ihre Eignung.<br />

Und so könnte die komplexe Demokratietheorie im Prinzip auch Lücken<br />

in ihren Argumentationslinien schließen. Eine Lücke besteht darin, dass sie<br />

die Studien zu den Funktionsvoraussetzungen der Demokratie 13 bislang nicht<br />

nennenswert genutzt hat. Das hat der komplexen Demokratietheorie bislang<br />

verwehrt, genauer zu erkunden wie weit Denationalisierungsvorgänge die<br />

Demokratie gefährden und davon abgehalten zu prüfen, ob verstärkende und<br />

gegenwirkende Tendenzen ebenfalls am Werke sind. Zu den Lücken der<br />

komplexen Demokratietheorie zählt ferner, dass sie die international und<br />

historisch vergleichende Demokratieforschung nur zum Teil berücksichtigt<br />

hat. Damit hängt eine weitere Schwäche zusammen: Die These von den<br />

Wechselwirkungen zwischen EU-Politik und nationalstaatlicher Demokratie<br />

als Hauptzuständige <strong>für</strong> Folgeprobleme europäischer Politik könnte durch<br />

Differenzierung nach Ländern und gegebenenfalls Demokratieformen gewinnen.<br />

Zudem fehlt der komplexen Demokratietheorie eine voll überzeugende<br />

Einordnung der EU in die Lehre von den politischen Systemen. So<br />

wird das kapitale Demokratiedefizit der EU auf der Input- und zum Teil auch<br />

auf der Output-Seite in der komplexen Demokratietheorie zwar erwähnt, aber<br />

am Ende zu gering belichtet und einseitig als ein Problem nur der Legitimationsbilanzen<br />

der EU-Mitgliedstaaten gedeutet – als ob die EU-Institutionen<br />

gegen latente und manifeste Legitimationsdefizite immun wären.<br />

13 Zum Forschungsstand Schmidt (2000: 438–460, 538 f., 2001, insbes. 513–519).

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