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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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252 IV · Föderalismus und Unitarismus<br />

4 Konklusion<br />

Die wachsende Skepsis gegenüber der Steuerungsfähigkeit des Staates hat<br />

das Verdikt gegenüber den asymmetrischen und nicht-demokratischen Relikten<br />

im Föderalismus wieder milder werden lassen. Im 19. Jahrhundert<br />

wurden von den verspäteten Nationalstaaten wie Italien und Deutschland<br />

eher die »zentrifugalen« als die »zentripetalen Kräfte« ge<strong>für</strong>chtet (Treitschke<br />

1921: 83). In der Polemik der Modernisierer gegen die States-rights-Ideologen<br />

von Calhoun in den USA bis zu Max von Seydel in Deutschland wurde<br />

Symmetrie im Föderalismus nur so weit gelobt, wie sie die Vereinheitlichung<br />

der Nation nicht behinderte. In der Postmoderne hatte sich das Problem<br />

verlagert. Der Föderalismus wurde nun zu einer »evolutionär höchst<br />

fortschrittlichen Struktur« erklärt (Mayntz 1989: 9). Die prämoderne territoriale<br />

und funktionale Fragmentierung von Entscheidungssystemen schien<br />

nach Abklingen des ungebrochenen Rationalitäts- und Effizienzstrebens dem<br />

postmodernen Lebensgefühl zu entsprechen. Polyzentrische Organisationsformen<br />

waren wieder »in«. Für den Föderalismus ließ sich das Bonmot von<br />

Daniel Bell (1988: 2) mobilisieren, dass der Nationalstaat <strong>für</strong> große Probleme<br />

zu klein und doch zu groß <strong>für</strong> die kleinen Probleme des Landes sei.<br />

Die neuere Literatur legt sich nicht mehr auf ein evolutionär-fortschrittliches<br />

Modell fest und falsifiziert solche Pauschalaussagen über die generelle<br />

Überlegenheit des föderalistischen Systems in der Policy-Performanz (Keman<br />

2000: 222). Neuere Studien fragen allenfalls, bis zu welchem Grad der<br />

Föderalismus funktional ist, auch wenn andere Autoren die mystischen Ursprünge<br />

des Föderalismus aus dem »Bundesmythos« beschwören (Görner<br />

1996: 5). Funktionale Imperative stimmen heute den Analytiker milder gegenüber<br />

Irregularitäten und Asymmetrien im Patchwork territorialer Politik.<br />

Auch Anhänger des Rational-Choice-Ansatzes sind keine »Blue-print«-Rationalisten<br />

mehr, sondern stellen fest, dass etwa in der Akkomodation ethnischer<br />

Gruppen Ad-hoc-Entscheidungen – oft sogar gegen den Rat der rationalen<br />

Spezialisten – das System zusammen gehalten haben wie in Indien<br />

(Mitra 2000: 55). Das Konfliktmanagement bei ethnischen Konflikten reicht<br />

vom Genozid bis zur Separation (McGarry/O’Leary 1994; Smith 1995:<br />

300). Der Föderalismus bietet sich als Kompromiss der Mitte an. Dieser<br />

Kompromiss schafft nicht immer dauerhaften sozialen Frieden. Kanada,<br />

Belgien, Spanien und Nigeria, neuerdings auch wieder Indien, sind in ständiger<br />

Krise und versuchen durch Verfassungsreformen ständig neue Kompromisse<br />

zu erzielen. Die soziale Dynamik ist in der Regel nicht aufzuhalten.

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