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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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Schneider · Komplexität und Policy-Forschung 307<br />

gehen meist von einem grundsätzlichen Unterschied zwischen Naturwissenschaften<br />

und Geisteswissenschaften aus.<br />

»Thick Description« wurde von dem Anthropologen Clifford Geertz<br />

(1973) als Forschungsansatz <strong>für</strong> ethnographische Studien vorgeschlagen. Im<br />

Wesentlichen wird dort einerseits <strong>für</strong> eine detaillierte und kontextreiche Beschreibung<br />

untersuchter Gegenstände und Prozesse plädiert, andererseits <strong>für</strong><br />

ein empathisches Verständnis der darin Handelnden und deren Deutungsund<br />

Interpretationsschemata. Im Unterschied zur »dünnen Beschreibung«,<br />

die nur oberflächliche Zusammenhänge zwischen Handlungen oder Ereignissen<br />

darstelle, versucht die dichte Beschreibung auch den kulturellen Kontext,<br />

intersubjektive Sinnzusammenhänge und symbolische Bedeutungsnetze,<br />

in welche die Handelnden eingebettet sind, aus der Sicht der Handelnden zu<br />

(re-)konstruieren. Im Gegensatz zu wissenschaftstheoretischen Perspektiven,<br />

in denen theoriegeladene Beobachtungsbegriffe problematisiert werden,<br />

vertritt die interpretative Sicht die Auffassung, dass man in der Analyse<br />

kultureller Phänomene nur auf diese Weise zu sinnvollen und aussagekräftigen<br />

Erklärungen gelange.<br />

Eine ähnliche Zielrichtung verfolgt der narrative Ansatz, der besonders in<br />

der Literaturwissenschaft Verwendung zum Einsatz kommt. In den Sozialwissenschaften<br />

findet er seit geraumer Zeit besonders in der historischen Soziologie<br />

Verbreitung. Im Gegensatz zur »dichten Beschreibung«, die sich auf<br />

interpretative (Re-)Konstruktionen einer synchronen Struktur bezieht, ist das<br />

Interpretationsmaterial in der Narration ein diachroner Ereigniszusammenhang,<br />

in dem Handelnde in ihren jeweiligen Handlungskontexten mit Ereignissen<br />

und Handlungsresultaten verknüpft sind. Narrationen sind subjektive<br />

oder »symbolische« Rekonstruktionen von historischen Entwicklungen. Paul<br />

A. Roth (1989) nennt als besonders paradigmatisch <strong>für</strong> diesen Erklärungstypus<br />

einen Aufsatz von Geertz, in dem zum Beispiel der Hahnenkampf als<br />

Interpretationsfolie <strong>für</strong> die Funktionsweise der balinesischen Gesellschaft<br />

verwendet wird. Auch in der Policy-Analyse ist diese Vorgehensweise aufgenommen<br />

worden (Kaplan 1986; Roe 1994).<br />

Interessant ist, dass selbst Naturwissenschaftler der Überzeugung sind,<br />

dass historische Prozesse in der Natur – wie die Evolution – nicht vollständig<br />

aus dem Wirken von Naturgesetzen abgeleitet werden können. Diese Vorgänge<br />

würden logischerweise keine allgemeinen Gesetze der Materie und<br />

der Bewegung verletzen, sie fielen jedoch in einen Bereich kontingenter<br />

Singularitäten, die man nur narrativ rekonstruieren könne (Gould 1989:<br />

310–315).

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