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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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Schneider · Komplexität und Policy-Forschung 299<br />

Schemas zu erklären. These dieses Abschnittes ist, dass sich diese Schwierigkeiten<br />

bei gesellschaftlichen Erklärungszusammenhängen noch verstärken.<br />

Hier<strong>für</strong> lassen sich mindestens drei Gründe anführen:<br />

1. Der topologische Raum gesellschaftlicher Entitäten, ihre Zahl und Vielfalt<br />

und damit auch die Kombinationsmöglichkeiten sind viel größer als<br />

der topologische Raum der natürlichen Umwelt. Das genetische Alphabet<br />

mit vier Buchstaben (DNA) erzeugt bereits einen gigantischen Variationsraum<br />

von Lebensformen. Die kulturelle Evolution mit ihren unzähligen<br />

kulturellen und technischen Artefakten produziert letztlich einen<br />

noch viel größeren Möglichkeitsraum.<br />

2. Die Beziehungsstruktur zwischen gesellschaftlichen Entitäten (Persönlichkeiten,<br />

Organisationen, etc.) ist weit komplexer als die Beziehungsstrukturen<br />

in der Natur. Während das natürliche Universum – nach dem<br />

Atom-Molekül-Modell – im Wesentlichen hierarchisch aufgebaut ist, ist<br />

der gesellschaftliche und kulturelle Raum weniger klar geordnet oder<br />

»verschachtelt«, es treten häufig heterarchische Querbeziehungen auf<br />

(Kontopoulos 1993). Wenn die Gesellschaft so hierarchisch organisiert<br />

wäre wie die Natur, dann dürften beispielsweise Individuen immer nur<br />

einer Organisation angehören und Organisationen nie sowohl Organisationen<br />

als auch Individuen als Mitglieder haben.<br />

3. Schließlich führt die Verhaltensoffenheit, Intentionalität und Reflexivität<br />

des Menschen zu einer geringeren Regelorientierung als bei anderen Lebewesen.<br />

»Nicht nur unbewältigte Komplexität macht uns zu schaffen,<br />

sondern auch die Unbestimmtheit der Mikrozusammenhänge« schreibt<br />

Reinhard Zintl (1998). Indem das menschliche Bewusstsein ein relativ<br />

autonomes Handlungssubjekt konstituiert, ist dessen Handeln nicht mehr<br />

auf überindividuelle Struktureffekte reduzierbar, wie etwa das Verhalten<br />

eines Uhrwerks oder eines Organismus, sondern in hohem Maße unbestimmt.<br />

Diese Subjekt-Problematik des Menschen lässt sich am besten im Vergleich<br />

zur Technik verdeutlichen. Ein technisches System besteht aus strengen Operationsfolgen,<br />

die das Verhalten der einzelnen Komponenten präzise festlegen.<br />

Zwar können die Operationen eines Automaten nach dem »Einschalten«<br />

autonom ablaufen und sogar Selbstregelungsmechanismen einschließen.<br />

Der Automat besitzt jedoch keine Autonomie in dem Sinne, dass er die<br />

in seine Struktur eingeschriebenen Instruktionsfolgen reflektieren und verändern<br />

könnte. Die institutionelle Struktur des Sozialen wirkt anders als

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