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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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M.G. Schmidt · »Komplexe Demokratietheorie« nach drei Jahrzehnten 161<br />

komplexe Demokratietheorie erneut als realistisch, insofern sie nicht mit utopischen<br />

Konstrukten hantiert – weder mit »kosmopolitischer Demokratie«<br />

(Archibugi/Held 1995) noch mit »globaler Demokratie« im Kontext einer<br />

föderalen »Weltrepublik« (Höffe 1999: 10). Vielmehr setzt die komplexe<br />

Demokratie auf erfahrungsgetränkte »Faustregeln« zur Ermittlung autonomieschonender<br />

und gemeinschaftsverträglicher Koordination (<strong>Scharpf</strong> 1993b:<br />

177). Entflechtung ist ein Leitprinzip, also die Empfehlung, im Rahmen der<br />

Beziehungen zwischen vertikal integrierten Entscheidungseinheiten, beispielsweise<br />

zwischen Bund und Ländern und zwischen Europäischer Union,<br />

Mitgliedstaaten, Bundesregierung und Ländern, alle Möglichkeiten der Entflechtung<br />

vernetzter Entscheidungsstrukturen auszuschöpfen und die Verantwortlichkeiten<br />

somit wieder den einzelnen Ebenen der Staatsorganisation<br />

zuzuordnen. Das ist ein Plädoyer gegen übermäßige Politikverflechtung<br />

nach Art des bundesdeutschen Föderalismus und <strong>für</strong> Entflechtung sowie mehr<br />

Autonomie. Und es ist zugleich das Plädoyer <strong>für</strong> eine autonomieschonende<br />

Politik der europäischen Integration an Stelle einer überstürzten Integrationspolitik.<br />

Als demokratieverträgliche Koordination wird ferner die horizontale<br />

Beziehung zwischen gleich geordneten Entscheidungseinheiten und zwischen<br />

unabhängigen Staaten empfohlen – beispielsweise eher bilaterale als multilaterale<br />

Verhandlungen. Überdies wird eher auf freiwillige Verhandlungssysteme<br />

und Ausstiegsklauseln gesetzt als auf Zwangsverhandlungssysteme.<br />

Außerdem hebt die komplexe Demokratietheorie hervor, dass auch nach<br />

Vollendung des Europäischen Binnenmarktes und trotz Globalisierung der<br />

Kapitalmärkte die Handlungsfähigkeit der nationalstaatlichen Politik keineswegs<br />

vollständig eingeschränkt ist. Egalitäre und solidarische Politik<br />

könnten weiterhin mit ausreichender demokratischer Legitimation angestrebt<br />

werden, sofern die Politik den Sozialstaat wetterfest <strong>für</strong> die neue –<br />

durch Internationalisierung und Europäisierung gesetzte – Problemlage mache,<br />

beispielsweise durch Umbau der Altersversorgung von der Umlagefinanzierung<br />

zum Kapitaldeckungsprinzip, durch Verlagerung der Finanzierungsgrundlagen<br />

der Sozialpolitik auf Steuern an Stelle der globalisierungsverletzlichen<br />

Beitragsfinanzierung, die die Kosten des Faktor Arbeit übermäßig<br />

verteuert, und durch Finanzhilfen <strong>für</strong> Beschäftigung im Niedriglohnsektor<br />

(<strong>Scharpf</strong>/Schmidt 2000).<br />

Insoweit verbreitete die komplexe Demokratietheorie – trotz Effektivität-<br />

Legitimations-Dilemma – gedämpften Optimismus. Mitunter durchziehen<br />

ihn aber pessimistische Strömungen. Werde die allseits praktizierte Verflechtung<br />

nicht auf das unerlässliche Maß vermindert, so hieß es 1993, so laufe<br />

die Demokratie in die Gefahr, dass sie

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