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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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210 III · Die Handlungsfähigkeit der Demokratie<br />

stische Politikveränderungen einfügt wurden, ist, abgesehen von der pfadabhängigen<br />

Entwicklung des Föderalismus (Lehmbruch 2002), mit den Erfahrungen<br />

des Nationalsozialismus zu erklären. In der Schweiz sicherte sich<br />

im 19. Jahrhundert das Bürgertum seine Freiheitsrechte mittels Dezentralisierung<br />

und direkter Demokratie, und dass deswegen Veränderungen langsam<br />

vor sich gehen, wird überwiegend akzeptiert. Im Übrigen hängt die<br />

Bewertung von Vetopositionen auch von den Politikinhalten ab. Bemerkenswerterweise<br />

wurde in der Bundesrepublik Deutschland die These, dass<br />

der verflochtene Bundesstaat Reformpolitik verhindere, in den siebziger Jahren<br />

von Protagonisten einer aktiven Gesellschafts- und Institutionenreform<br />

formuliert, während sie in den neunziger Jahren von liberalen und konservativen<br />

Politikern aufgegriffen wurde, welche einen Rückbau des Wohlfahrtsstaats<br />

wünschten, der durch Politikverflechtung stabilisiert wird (Schmidt<br />

2001).<br />

Ein unbestrittenes Problem sind Vetos allerdings dann,<br />

– wenn sie zu Machtverschiebungen im politischen System führen und<br />

damit die Legitimität von Entscheidungen in Frage stellen und/oder<br />

– wenn sie zu ungewollten Blockierungen von Reformen führen, obgleich<br />

deren Notwendigkeit von allen legitimerweise Mitwirkenden im Entscheidungsprozess<br />

anerkannt wird.<br />

Beide Fälle sind, wie ich im dritten Abschnitt erläutern werde, in Mehrebenensystemen<br />

angelegt, die dem Muster der Politikverflechtung entsprechen,<br />

das heißt in denen politische Entscheidungen durch Regierungen ausgehandelt<br />

und von Parlamenten kontrolliert werden. Diese eigentlich brisanten<br />

Konstellationen werden im analytischen Konzept der Vetospieler-Theorie<br />

zwar berücksichtigt, aber nicht in ihrer problematischen Logik erfasst. Zum<br />

einen ist das Kriterium des Innovationsgrades von Politik allein nicht geeignet,<br />

die eigentliche Problematik dieser Strukturen zu erkennen, die ja nicht<br />

in der bloßen Tendenz zur Konservierung des Status quo liegt, sondern<br />

darin, dass sich die Legitimationsdefizite und die Reformunfähigkeit trotz<br />

Reformwillens wechselseitig verstärken. Zum anderen interessieren sich<br />

Tsebelis und seine Anhänger nur <strong>für</strong> die formalen Vetopositionen unabhängig<br />

von ihrer Legitimation, erkennen dagegen nicht das Problem von Machtverschiebungen<br />

in Mehrebenensystemen. Drittens analysieren sie nicht die<br />

Dilemmasituationen, in die Akteure in komplexen Interaktionsstrukturen geraten<br />

können, und auch nicht die Art und Weise, wie sie damit umgehen.<br />

Um diese Schwäche der Theorie zu überwinden, ist es nützlich, auf die<br />

von <strong>Fritz</strong> W. <strong>Scharpf</strong> entwickelte Politikverflechtungstheorie zurückzugrei-

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