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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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276 IV · Föderalismus und Unitarismus<br />

streitigkeiten gedacht, hatte nichtsdestoweniger eine stark zentralisierende<br />

Tendenz. Während der Hyperinflation von 1923, einem Höhepunkt der staatlichen<br />

Schlichtung, trat das besonders klar zu Tage: Es sei, so der einflussreiche<br />

Ministerialdirektor im Reichsarbeitsministerium, Friedrich Sitzler,<br />

unerlässlich, in dem ein einheitliches Wirtschaftsgebiet bildenden Deutschland<br />

eine einheitliche Lohnpolitik zu betreiben, wenn man überhaupt eine betreiben<br />

wolle. Man könne nur Ruhe bekommen, wenn man einigermaßen gleichmäßig<br />

vorgehe. (Bähr 1989: 67)<br />

Als Orientierungsmaßstab wurden den Schlichtungsbehörden deshalb die<br />

Tarifverträge <strong>für</strong> Staats- und Bergarbeiter nahe gelegt, die zumeist unter<br />

Mitwirkung des Ministeriums auf Reichsebene abgeschlossen wurden.<br />

Ursprünglich waren Landesschlichtungsbehörden vorgesehen, doch dann<br />

wurden die Schlichter dem Reichsarbeitsministerium unterstellt, um diesem<br />

die Möglichkeit zu geben, »lohnpolitisch einzugreifen und eine gleichmäßige<br />

Lohnpolitik durchzuführen« (Bähr 1989: 80). Zwar konnten die Länder die<br />

Schlichter zur Ernennung vorschlagen, aber »Schlichterbesprechungen«<br />

beim Reichsarbeitsministerium sorgten da<strong>für</strong>, »in wichtigen Fragen der<br />

Lohnpolitik die wünschenswerte Einheitlichkeit herbeizuführen« (so Sitzler<br />

1930, zitiert nach Bähr 1989: 91). Experten aus dem Reichswirtschaftsministerium<br />

trugen hier auch die konjunkturellen und strukturellen Wirtschaftsdaten<br />

vor, an denen sich dann die Schlichter orientierten. Nimmt man hinzu,<br />

dass der langjährige Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns – ebenso wie<br />

der ihm nahe stehende Nationalökonom Theodor Brauer, der Theoretiker<br />

der Christlichen Gewerkschaftsbewegung – Anhänger einer produktivitätsorientierten<br />

Lohnpolitik war (Bähr 1989: 57–59), so wird deutlich, wie stark<br />

Leitgesichtspunkte der »gesamtwirtschaftlich« orientierten und damit implizit<br />

unitarisierenden Tarifpolitik seit den sechziger Jahren hier schon vorweggenommen<br />

wurden. 16 Die beschriebenen Tendenzen fanden auch darin ihren<br />

Niederschlag, dass 1925 von den tarifgebundenen Arbeitern 77 Prozent in<br />

Bezirkstarifverträgen und 12,6 Prozent in Reichstarifverträgen erfasst war<br />

(gegenüber 49 und 5,5 Prozent im Jahre 1913: Ullmann 1977: 101, 231).<br />

1933 wurden die Gewerkschaften zerschlagen und das System freier<br />

Kollektivverhandlungen beseitigt. An die Stelle der Gewerkschaften und der<br />

16 1928 argumentierten auf dem Metallarbeiterkongress die Pommern, dass die Schlichtungsausschüsse<br />

das Lohnniveau in den weniger entwickelten Gebieten gehoben hätten;<br />

dagegen bezeichnete der Bezirk Stuttgart diese »zurückgebliebenen Gebiete« als einen<br />

»Bremsklotz <strong>für</strong> die Gebiete, in denen die Organisation stärker ist und die Arbeiterschaft<br />

etwas unternehmen könnte« (Bähr 1989: 247).

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