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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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162 III · Die Handlungsfähigkeit der Demokratie<br />

entweder an der weltweit zunehmenden Interdependenz der Probleme scheitert,<br />

oder in einem immer dichteren Gestrüpp von interorganisatorischen, föderalen<br />

und transnationalen Verflechtungen erstickt wird. (<strong>Scharpf</strong> 1993b: 181)<br />

Oberhand behält aber letztlich in der komplexen Demokratietheorie nicht<br />

die These, dass die Demokratie erstickt werde. Oberhand behält die Lehre,<br />

wonach sachkundiges, geschicktes Politikmachen das Staatsschiff auf Kurs<br />

halten kann – auch wenn sich dieser mitunter als ein Schlingerkurs entpuppt,<br />

der in der Ersten Klasse kaum bemerkbar ist, aber einen Teil der Passagiere<br />

der Zweiten Klasse seekrank macht. Von dieser Konstellation zeugen<br />

vor allem der Beitrag der komplexen Demokratietheorie zum Problem<br />

des »Europäischen Demokratiedefizits«.<br />

Mit der Europäischen Staatengemeinschaft – im Folgenden kurz als EU<br />

bezeichnet – ist der komplexen Demokratietheorie zufolge kein mehrheitsdemokratischer<br />

Staat zu machen. Gemessen an der Input-Legitimität, also<br />

der Anerkennungswürdigkeit und der tatsächlichen Anerkennung, die authentischer<br />

Beteiligung und offener Willensbildung erwachsen, sind die Aussichten<br />

<strong>für</strong> die EU trübe (<strong>Scharpf</strong> 1999b). Der EU fehlt die kollektive Identität.<br />

Und ihr fehlt ein politischer Diskurs, der Kriterien demokratischer Öffentlichkeit<br />

genügt. Kein seinen Namen verdienender europäischer Demos ist in<br />

Sicht, kein Stimmvolk, das in einer gemeinsamen Sprache und mit europaweiten<br />

intermediären Institutionen seine gemeinsamen europäischen Anliegen<br />

erörtern könnte. Mehr noch: Die europäische Politik erweist sich nicht<br />

selten als wenig handlungsfähig.<br />

Insoweit liegt zunächst der Verdacht nahe, dass die europäische Politik<br />

nicht nur an einem Mangel an Input-Legitimation laboriert, sondern auch zu<br />

wenig Output-Legitimation hat. Gewiss: Die europäische Politik ist in bestimmten<br />

Feldern handlungsfähig, vor allem im Bereich marktschaffender<br />

Regulation sowie bei der Normierung produktbezogener Standards. Doch<br />

gering ist ihre Fähigkeit zum Problemlösen, so die komplexe Demokratietheorie,<br />

ausgerechnet im Falle von marktkorrigierenden und marktbeschränkenden<br />

Politiken. Hervorragende Beispiele sind der anlagenbezogene Umweltschutz,<br />

die Arbeitspolitik und die Sozialpolitik. Hier tut sich die europäische<br />

Politik besonders schwer. Denn in diesen Politikfeldern verursachen<br />

europaweite anspruchsvolle Regeln hohe Produktionskosten, die angesichts<br />

der beträchtlichen Unterschiede der Wirtschaftskraft in den EU-Staaten nur<br />

von den produktivitätsstärkeren Mitgliedsländern getragen werden können<br />

und von anderen abgelehnt werden. Somit scheitert die Einigung im Falle<br />

vieler marktkorrigierender und marktbeschränkender Politiken oftmals schon<br />

am unterschiedlichen ökonomischen Entwicklungsstand und der hierin ver-

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