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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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160 III · Die Handlungsfähigkeit der Demokratie<br />

überdies bei insgesamt stagnierenden Reallöhnen eine steigende Abgabenlast<br />

zu tragen. Daraus erwachse der Demokratie vor allem in den westeuropäischen<br />

Ländern ein schwerwiegendes Problem, weil diese Entwicklung<br />

nicht nur die Interessen der breiten Mehrheit verletzt, sondern auch das moralische<br />

Selbstverständnis von Gesellschaften in Frage stellt, die sich selbst am Anspruch<br />

der sozialen Gerechtigkeit zu messen gelernt hatten. (<strong>Scharpf</strong> 1998: 152)<br />

Die komplexe Demokratietheorie wertet diese Entwicklungen als schwere<br />

Spannungen im Gefüge der demokratisch verfassten Industriegesellschaften.<br />

Einerseits ist infolge hoher und weiter voranschreitender internationaler Interdependenz<br />

die Problemlösung in der Politik zunehmend ober- und außerhalb<br />

des Nationalstaates zu suchen. Andererseits zählt die demokratische<br />

Legitimation als unverzichtbares Gut. Doch Legitimation wird oberhalb und<br />

außerhalb des Nationalstaats nicht in ausreichendem Maße hergestellt. Daraus<br />

erwächst ein Effektivität-Legitimations-Dilemma, das mit zunehmender<br />

inter- und transnationaler Abhängigkeit größer wird: Es entsteht ein tendenziell<br />

inverser Zusammenhang zwischen der Effektivität von inter- und transnationalen<br />

Problemlösungen einerseits und der Autonomie nationaler und<br />

subnationaler Entscheidungen sowie demokratischer Legitimation andererseits.<br />

Die komplexe Demokratietheorie hat dieses Dilemma verschiedentlich<br />

als besonders hart eingestuft:<br />

Die zunehmende Intensität transnationaler Koordination schadet der nationalstaatlichen<br />

Demokratie, und die zunehmende Virulenz demokratischer Partizipations-<br />

und Rechtfertigungsforderungen beeinträchtigt die Chancen transnationaler<br />

Problemlösung. (<strong>Scharpf</strong> 1993b: 176)<br />

In dem einen Fall entstehen Kosten in Form von Demokratiedefiziten, im<br />

anderen Fall handelt es sich um externe Koordinationsdefizite, wodurch der<br />

grundsätzlich erreichbare Kollektivnutzen aller Beteiligten nicht erlangt<br />

wird. Der wesentliche Grund liegt darin, dass das Effektivität-Legitimations-Dilemma<br />

vor allem bei komplexeren Konfliktstrukturen in Nichtkooperation<br />

mündet (<strong>Scharpf</strong> 1993b, 1997). Nichtkooperation allerdings führt<br />

meist weit vom Wohlfahrtsoptimum weg und erschwert zugleich das Streben<br />

nach Verteilungsgerechtigkeit. Im ungünstigsten Fall kann die Nichtkooperation<br />

brandgefährlich sein, zum Beispiel im Falle von Herausforderungen,<br />

die schnelle Gefahrenabwehr seitens aller Beteiligten verlangen.<br />

Das Effektivität-Legitimations-Dilemma hat die komplexe Demokratietheorie<br />

allerdings nicht als unumstößliche Zwangslage gedeutet, sondern als<br />

einen gestaltbaren Zielkonflikt. Zu den Optionen gehören demokratieunverträgliche<br />

und demokratieverträgliche Praktiken. Hierbei erweist sich die

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