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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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Schneider · Komplexität und Policy-Forschung 311<br />

4.4 Theoretische Triangulation und Abduktion<br />

Aus der post-positivistischen Erkenntnis, dass Wissen fehlbar ist und wissenschaftliche<br />

Suche nach der »reinen Wahrheit« letztlich ein unerreichtes<br />

Ideal bleiben wird, kann nur folgen, dass man sich zunächst mit – unter Umständen<br />

– konkurrierenden »lückenhaften Wahrheiten« zufrieden gibt. Dies<br />

heißt aber nicht, die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion als ein Puzzle-<br />

Spiel zu betrachten, in dem auf kumulative Weise Erkenntnisversatzstücke<br />

aneinander gelegt werden, sondern eher als ein Beobachten mit unterschiedlichen<br />

»theoretischen Brillen«.<br />

Donald Campbell (1984: 30) vergleicht diese Strategie mit der Vorgehensweise<br />

eines Detektivs, der auf der Basis gesammelter Evidenzen unterschiedliche<br />

Theorien durchspielt und versucht, rivalisierende Hypothesen<br />

systematisch auszuschließen. Eine eng damit verbundene Vorstellung steht<br />

hinter dem Ansatz der Triangulation, der begrifflich aus der Landvermessung<br />

und Navigation stammt. Aus der Vermessung zweier bekannter Punkte<br />

wird dort auf die Distanz weit entfernter Punkte geschlossen. In der empirischen<br />

Sozialforschung wird der Begriff analog <strong>für</strong> die Beobachtung aus alternativen<br />

Perspektiven (»vantage points«) durch die Verwendung unterschiedlicher<br />

Indikatoren oder Messmethoden verwendet (Campbell 1975:<br />

189; Crano 1981: 32)<br />

In Anlehnung an die methodologische Triangulation verweist William<br />

Crano (1981: 326–328) auf die theoretische Triangulation, die sich von<br />

Campbells (1966) »Pattern-Matching« ableitet. Hierbei werden die Konturen<br />

eines Datenfeldes oder eines Datenstroms mit konkurrierenden theoretischen<br />

Schablonen verglichen, um das passendste Theoriemuster zu finden<br />

(vgl. auch Hayek 1972). In seiner Version der evolutionären Erkenntnistheorie<br />

geht Campbell (1966) überhaupt davon aus, dass menschliche Erkenntnis<br />

sich nur über solche Versuch-und-Irrtum-Prozesse bei der Mustererkennung<br />

herausgebildet hat.<br />

Werden empirische Regelmäßigkeiten unter Zuhilfenahme mehrerer hypothetischer<br />

Modelle interpretiert und »rekonstruiert«, so handelt es sich<br />

weder um Deduktion noch um Induktion, sondern um Abduktion im Sinne<br />

des Philosophen Charles Pierce (1878: 224–250). Während der Startpunkt<br />

bei einer Induktion die Beobachtung empirischer Zusammenhänge ist, von<br />

denen dann auf eine allgemeine Regel geschlossen wird, geht die Deduktion<br />

von Gesetzmäßigkeiten aus, aus denen innerhalb eines empirischen Anwendungsbereiches<br />

eine Prognose abgeleitet wird. Es wird erwartet, dass sich<br />

die Empirie so verhält, wie die Theorie es unterstellt. Bei der Abduktion

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