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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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von Beyme · Die Asymmetrisierung des postmodernen Föderalismus 249<br />

3 De-facto-Asymmetrien<br />

a) Die üblichste De-facto-Asymmetrie ist ein Produkt der unterschiedlichen<br />

Größe und Wirtschaftskraft der Gebietseinheiten eines Bundesstaates. In<br />

Kanada umfasst der kleinste Staat, Prince Edward Island, nur 1,4% der Bevölkerung,<br />

in Australien Tasmanien nur 2,8%. In den USA wohnen in Wyoming,<br />

Alaska und Vermont je 0,2% der Bevölkerung, in Indien in Sikkim<br />

0,05% in Deutschland in Bremen 0,8%, in der Schweiz in Appenzell-Innerrhoden<br />

0,2%, und in Spanien in Rioja 0,7% der Gesamteinwohnerschaft.<br />

Diesen Ministaaten stehen in allen Föderationen Großgebilde gegenüber, die<br />

durch ihr schieres Gewicht einen größeren Einfluss in der Willensbildung<br />

des Bundes haben. Am krassesten scheint die Erpressungsmacht der Kleinen,<br />

die Riker (1964: 155) anprangerte, in dem dezentralisiertesten System<br />

der westlichen Welt, der Schweiz. Wenn 51% der Bürger der kleinsten 11,5<br />

Kantone eine innovative Maßnahme ablehnen, können 9% der Schweizer<br />

ihren Willen gegen eine Mehrheit von 91% durchsetzen (Germann 1991).<br />

Zum Glück ereignet sich dieses Rechenbeispiel nicht täglich im Entscheidungsprozess.<br />

b) Institutionen der Politikverflechtung und der horizontalen wie vertikalen<br />

Kooperation im Beteiligungsföderalismus sind in der Regel nicht verfassungsmäßig<br />

oder gesetzlich geregelt. In den meisten Föderationen ist der<br />

»exekutive Föderalismus« ins Kraut geschossen (Painter 2000: 142). Exekutive<br />

»Inter-state«-Verhandlungen« dominieren in Kanada über die Entscheidungen<br />

in den nationalen Institutionen. <strong>Fritz</strong> W. <strong>Scharpf</strong> (1988) hat die Politikverflechtungsfalle<br />

(»joint decision trap«) international berühmt gemacht.<br />

Sie führt bei individueller Rationalität der einzelnen Akteure schlimmstenfalls<br />

zu »kollektiver Irrationalität«, ganz sicher aber zu wachsender Asymmetrie.<br />

Die kollektive Irrationalität wirkt freilich nicht in allen Föderationen<br />

in gleicher Weise. In der Schweiz herrscht trotz der Asymmetrien der Größe<br />

und wirtschaftlichen Stärke der Kantone überall die gleiche Logik von Verhandlung<br />

und Kompromiss. Sie wird nicht durch Parteienwettbewerbslogiken<br />

durchbrochen wie in Deutschland (Armingeon 2000: 121). Die Verbundtendenzen<br />

bleiben weitgehend horizontal, wie die Erziehungsdirektorenkonferenz.<br />

Politische Eliten, die permanent eine Konfliktstrategie verfolgen,<br />

werden in einem solchen System nicht belohnt. Konflikte werden auch schon<br />

dadurch gemildert, dass die Kantone – wie die amerikanischen Staaten – gewisse<br />

Ungleichheiten akzeptieren und nicht dem deutschen Phantom von der<br />

»Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse« nachjagen. Deutschland scheint

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