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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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„die Schräglage des britischen Staates“ nennen. 169<br />

Die autonomen Regionen machen zusammen<br />

nicht mehr als 15% der Bevölkerung und des BIPs<br />

Großbritanniens aus. Die Mehrheit der Bevölkerung,<br />

jene Englands, wird weiterhin zentral von London<br />

aus regiert. In dieser Hinsicht gleicht das Vereinte<br />

Königreich eher Dänemark, der Ukraine und Portugal<br />

mit ihren jeweiligen Sonderautonomien als Spanien und<br />

Italien mit verschiedenen Kategorien von Autonomie<br />

<strong>für</strong> alle Regionen.<br />

Es gibt heute keine Pläne zur Einführung eines eigenen<br />

Regionsparlaments auch <strong>für</strong> England, als Gegenstück<br />

zu den Regionalversammlungen von Wales, Schottland<br />

und Nordirland. Die GLA (Greater London Area) bleibt<br />

eine nur sehr bescheidene Form der devolution, die<br />

aus zwei Institutionen besteht: ein direkt gewählter<br />

Bürgermeister und eine kleine, direkt gewählte<br />

Versammlung. Es sei daran erinnert, dass in den<br />

Mitgliedsländern der EU viele den Regionen übertragene<br />

Politikfelder auch eine EU-Dimension aufweisen, wie<br />

z.B. die Wirtschafts-förderung, der Umweltschutz, die<br />

Landwirt-schaft, die Fischerei, Verkehrspolitik. Somit<br />

muss in diesen Bereichen Politik nicht nur zwischen<br />

zwei, sondern drei Regierungsebenen koordiniert<br />

werden. 170<br />

Welche Fragen sind heute im Autonomieprozess<br />

Großbritanniens noch offen? Schwierigkeiten in der<br />

Durchführung der devolution gab es in allen drei<br />

Regionen, vor allem aber in Nordirland. Doch auch in<br />

Wales und in Schottland sind einzelne Autonomiefragen<br />

noch ungelöst. 171 Wincott und Jeffery sehen folgende<br />

Hauptprobleme:<br />

1. Die Stimmigkeit der Autonomie oder die<br />

Frage, welches neue Verhältnis zwischen den<br />

Regierungsebenen entstehen wird.<br />

Die Zeit des finanziellen Überflusses hat in<br />

Großbritannien ein Ende und mehr Konflikte um<br />

die Verteilung der öffentlichen Ressourcen werden<br />

wahrscheinlich. Dem britischen Staat fehlt nach der<br />

devolution eine klare rechtliche Absicherung. Wie wird<br />

die Wählerschaft in Zukunft den Autonomieprozess<br />

mittragen? In den drei betroffenen Regionen gibt<br />

es einen klaren Wunsch nach weiter reichender<br />

169 Jeffery/Wincott (2006), S. 2<br />

170 Vgl. dazu Stijn Smismans (2004), Vertical and Horizontal<br />

Decentralisation in Europeean Governance: Discourse, Reality and<br />

Strategy, in: Roberto Toniatti, Francesco Palermo and Marco Dani,<br />

An ever more complex Union, EURAC-ITC-Nomos, Baden-Baden,<br />

S. 57-84<br />

171 Wincott/Jeffery (2006), S.6<br />

3 Territorialautonomie am Werk<br />

Kompeten-zenübertragung. Doch in England wächst<br />

die Skepsis und Be<strong>für</strong>chtung, mehr Autonomie könnte<br />

zur Verstärkung des inneren territorialen Gefälles<br />

führen. 172<br />

2. Das Gleichgewicht des Autonomie-arrangements.<br />

Solange Großbritannien ein gemeinsamer Markt,<br />

ein gemeinsamer Sozialstaat und bezüglich der<br />

inneren Sicherheit einheitlich geregelt bleibt, werden<br />

Entscheidungen auf Staatsebene Auswirkungen<br />

auf ganz Großbritannien haben. Die Autonomie der<br />

einzelnen Regionen ist in der EU beschränkt durch<br />

nationale und supranationale Rechtsnormen. Die<br />

finanzielle Zuwendungen an Schottland, Wales<br />

und Nordirland hängen von Entscheidungen der<br />

Regierung in London ab: wenn bestimmte Ausgaben<br />

in England schrumpfen – z.B. wenn die private<br />

Gesundheits<strong>für</strong>sorge ausgebaut würde - würden<br />

auch die entsprechenden Transferleistungen an die<br />

autonomen Regionen sinken.<br />

3. Welche Grenzen gibt es <strong>für</strong> die asymmetrische<br />

Gewährung von Autonomie in einem<br />

gemeinsamem Staat? Großbritannien hat keine<br />

systematisch kodifizierte Verfassung, weshalb<br />

Verfassungsänderungen mit einfacher Mehrheit<br />

mit normalem Staatsgesetz erfolgen können.<br />

Diese verfassungs-rechtliche Flexibilität war in<br />

Nordirland notwendig, um ein Arrange-ment <strong>für</strong><br />

Konkordanzdemokratie zu finden. Wales möchte den<br />

schottischen Umfang an autonomen Befugnissen<br />

erreichen. Es ist immer noch unklar, wo die Grenzen<br />

dieser asymmetrischen devolution liegen.<br />

Manche Autoren fragen sich schon, ob diese Entwicklung<br />

zu einer „fragmentierten Staatsbürgerschaft“ führen<br />

wird. Treten jetzt auch bei sozialen Rechten und<br />

Leistungen Unterschiede zwischen den Regionen<br />

zutage? Die Staatsbürgerschaft in Großbritannien<br />

immer schon differenzierter als es nach außen hin<br />

den Anschein hatte. Stärkere Unterschiede reichen<br />

noch in die Zeit vor der devolution zurück. Es gibt<br />

kaum Beweise da<strong>für</strong>, dass die Regionalautonomie<br />

zu einem neuen grundlegenden Auseinanderfallen<br />

in der sozialen Staatsbürgerschaft und in den<br />

Dienstleistungen in ganz Großbritannien führen muss.<br />

Einige regionale Unterschiede gibt es seit längerem<br />

wie auch in Spanien und Italien. Das Kronjuwel des<br />

britischen Wohlfahrtsstaates ist immer noch der<br />

Nationale Gesundheitsdienst. Der britische Staat<br />

versuchte territoriale Ungleichgewichte auszubügeln.<br />

Unter-schiedliche Entwicklungen, die von autonomen<br />

172 Wincott/Jeffery (2006), 7<br />

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