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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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4 Besondere Formen von Autonomie<br />

indigenen <strong>Völker</strong> teils durch die nationalen Parteien<br />

organisiert, teils haben die Indigenen ihre eigenen<br />

Parteien. Die Herausforderung <strong>für</strong> „ethnische<br />

Parteien“ besteht immer darin, über die Formulierung<br />

von Forderungen und Lösungsvorschlägen <strong>für</strong> die<br />

Probleme der indigenen <strong>Völker</strong> hinauszugehen und<br />

eigene Vorschläge <strong>für</strong> die übergreifenden nationalen<br />

Probleme vorzulegen.<br />

Welche formalen Aspekte haben die <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

in diesen vier Ländern? In Panama und in Kolumbien wird<br />

innerhalb der autonomen Strukturen ein direktdemokratisches<br />

und konkordanz-demokratisches Modell der<br />

Territorial-autonomie angewandt. In Nicaragua geraten<br />

die politischen Kräfte und Organisationen der Indigenen<br />

und die Institutionen der autonomen Regionen im<br />

Kontext einer pluriethnischen Bevölkerung auch immer<br />

wieder in Konflikt. In Ecuador wiederum existieren<br />

öffentlich-rechtliche kommunale Institutionen neben<br />

den Einrichtungen indianischer Selbstverwaltung.<br />

In einigen Ländern wie etwa in Guatemala sind neben<br />

den Kommunen (alcaldías) besondere indigene<br />

Gebietskörperschaften (municipios indígenas)<br />

eingerichtet worden. In einigen ländlichen Gebieten<br />

mit einer indigenen Mehrheitsbevölkerung wählen die<br />

Dörfer (cantones) ihren eigenen Bürgermeister mit<br />

einem besonderen Wahlrecht.<br />

Doch haben diese eine ziemlich begrenzte Autonomie<br />

und sind insbesondere bezüglich der Finanzen<br />

den alcaldías untergeordnet. Die indigenen <strong>Völker</strong><br />

Guatemalas versuchen, über comités civicos (freie<br />

politische Listen) auch aktiv die Politik mitzugestalten.<br />

In Bolivien sind keine speziellen Territorien <strong>für</strong> die<br />

Indigenen eingerichtet worden, doch ist eine allgemeine<br />

Dezentralisierung der staatlichen Strukturen im<br />

Gange. Die dezentralen Gebietseinheiten (Kommunen,<br />

Provinzen) sind ermächtigt, auch indigene Fragen in<br />

autonomer Weise zu regeln, doch bleiben sie immer<br />

organischer Teil der öffentlichen Lokalverwaltung. 327<br />

327 Willem Assies (2005), S.202<br />

4.3.5 Die “caracoles” in Chiapas:<br />

eine de facto-Autonomie?<br />

Am 1. Januar 1994 besetzte die Zapatistische<br />

Befreiungsarmee (Ejercito Zapatista de Liberación<br />

Nacional, EZLN) einen kleinen Teil des mexikanischen<br />

Bundesstaats Chiapas, der überwiegend von indigenen<br />

<strong>Völker</strong>n bewohnt wird. Sie forderte kulturelle Autonomie,<br />

Landrechte, demokratische Mitbestimmung und<br />

lehnte die neoliberalen Wirtschaftsstrategien der<br />

mexikanischen Regierung ab. Am selben Tag war<br />

offiziell Mexikos Beitritt zur nordamerikanischen<br />

Freihandelszone (NAFTA) in Kraft getreten. Die<br />

Zapatistenbewegung war ein leuchtendes Signal des<br />

Aufbruchs <strong>für</strong> Volksbewegungen <strong>für</strong> die Rechte der<br />

Indianer, der armen Bauern und Landarbeiter nicht nur<br />

in Mexiko, sondern in vielen Regionen Lateinamerikas.<br />

Die mexikanische Regierung versuchte, diese militante<br />

Bewegung mit allen Mitteln zu unterdrücken, auch<br />

mit militärischer Repression. Im August 2003 taten<br />

sich fünf von Zapatisten kontrollierte Regionen in<br />

Chiapas mit etwa hundert Gemeinden mit von rund<br />

300.000 Einwohnern zusammen, um eine inoffizielle<br />

„autonome Zapatistenregion“ zu bilden. Die EZLN,<br />

die seit 1994 keine neuen militärischen Aktionen<br />

mehr durchgeführt hat, betrachtete diesen Schritt als<br />

logische Fortsetzung des Abkommens von 1996 zur<br />

kulturellen Autonomie und den Rechten der Indianer,<br />

das in der Ortschaft San Andrés in Chiapas mit der<br />

mexikanischen Regierung abgeschlossen worden war.<br />

Die zumeist sehr armen und wirtschaftlich rückständigen<br />

Gemeinden erklärten ihre Autonomie und verwalten<br />

sich seitdem mit demokratischen Verfahren selbst. Die<br />

fünf Regionen unter zapatistischer Kontrolle werden<br />

in Chiapas auch caracoles (Schnecken) genannt. Die<br />

autonomen Gemeinschaften versuchen seitdem,<br />

ein eigenständiges Gesundheitswesen, Schulwesen,<br />

Handelsnetz und genossenschaftlich organisierte<br />

Produktionstätigkeit auf den Weg zu bringen. Doch das<br />

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