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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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234<br />

<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

Nordgebiete (Federal Administered Northern<br />

Areas F.A.N.A., mit 72.496 km 2 ) als de-facto<br />

abhängiges Gebiet Pakistans.<br />

AJK ist gemäß der Verfassung Pakistans kein regulärer<br />

Teil des Staatsgebiets und seine Bewohner sind nie<br />

durch gewählte Abgeordnete im Bundesparlament<br />

in Islamabad vertreten worden. Das gesamte Gebiet<br />

des früheren Fürstenstaats von Jammu und Kaschmir<br />

bleibt, gemäß pakistanischer Position, ein umstrittenes<br />

Gebiet, das von Pakistan beansprucht wird. Seine<br />

Aufteilung muss in direkten Verhandlungen zwischen<br />

Indien und Pakistan geklärt werden. Indien betrachtet<br />

die unter Pakistans Oberhoheit stehenden Gebiete als<br />

“von Pakistan besetztes Kaschmir”, während Pakistan<br />

das Kaschmirtal, Ladakh und das östliche Jammu als<br />

“indisch besetztes Kaschmir” bezeichnet. Während<br />

Indien den östlichen Teil voll in den Staat eingegliedert<br />

hat, fordert Pakistan dagegen die Einlösung des von<br />

den Vereinten Nationen ausgesprochenen Auftrags zur<br />

Abhaltung einer Volksabstimmung, um die Aufteilung<br />

endgültig zu klären. Dabei zeigt sich Pakistan auch<br />

nicht gewillt, einer dritten Option zuzustimmen,<br />

nämlich der Bevölkerung von Jammu und Kaschmir bei<br />

einer Volksabstimmung die Möglichkeit zu eröffnen,<br />

die Unabhängigkeit zu erhalten.<br />

AJK hat eine eigene Verfassung, gesetzgebende<br />

Versammlung (Parlament), Regierung und<br />

Verfassungsgericht. Die erste Kammer des Parlaments<br />

von AJK setzt sich aus 41 direkt gewählten und 8<br />

ernannten Abgeordneten zusammen. Der “Interim<br />

Constitution Act” von 1974 gestand diese Institutionen<br />

zu, doch die bisherigen Wahlen waren immer dem<br />

Verdacht und der Kritik massiver Wahlfälschungen<br />

ausgesetzt. So wurden etwa Parteien, die <strong>für</strong> die<br />

Unabhängigkeit ganz Jammu und Kaschmirs eintreten,<br />

gar nicht zu den Wahlen zugelassen. Dies gilt<br />

speziell <strong>für</strong> die Jammu and Kashmir Liberation Front<br />

(JKLF) und die All Party National Alliance, die auch<br />

im indisch verwalteten Kaschmir präsent sind. 365<br />

Dementsprechend hat sich seit mehr als 60 Jahren<br />

dieselbe, gegenüber der Regierung in Islamabad<br />

subalterne Partei in AJK mit absoluter Mehrheit an der<br />

Macht gehalten, nämlich die All Jammu and Kashmir<br />

Muslim Conference. Es stellt sich die Frage, ob Wahlen<br />

unter diesen Rahmenbedingungen als frei und fair<br />

betrachtet werden können und demzufolge AJK als<br />

ein “modernes Autonomiesystem” im Rahmen des<br />

pakistanischen Staats gelten kann, unter Wahrung<br />

des Bestimmungskriteriums eines demokratischen<br />

Rechtsstaats. Doch weder sind die Wahlen zum<br />

365 Art. 4 (7) und (2) der Interimsverfassung von 1974 besagen:<br />

“ S.231 unten)<br />

Regionalparlament von AJK wirklich frei und fair, noch<br />

sind die Institutionen dieses “Freistaats” wirklich<br />

von der Zentralregierung Pakistans unabhängig.<br />

Das übergeordnete politische Organ, das die Fäden<br />

in AJK zusammenhält, ist vielmehr der 11-köpfige<br />

“Azad Jammu and Kashmir Council”, der aus sechs<br />

Vertretern der Regierung von AJK und fünf Vertretern<br />

der pakistanischen Regierung besteht. Vorsitzender<br />

ist der Präsident Pakistans, weitere Mitglieder sind der<br />

Präsident und der Premierminister von AJK.<br />

Bloß regelmäßig abgehaltene Wahlen zur<br />

Regionalversammlung, von welchen unliebsame<br />

politische Kräfte von vornherein ausgeschlossen<br />

sind, sind zwecks Einstufung eines substaatlichen<br />

Gebiets als “regionale Demokratie” nicht ausreichend,<br />

auch wenn die Wahlen auf gesamtstaatlicher Ebene<br />

internationalen Standards demokratischer Verfahren<br />

genügen. Darüber hinaus ist nicht zu bestreiten,<br />

dass AJK politisch, wirtschaftlich, finanziell völlig<br />

von Pakistan abhängig ist. Die ungelöste Frage des<br />

völkerrechtlichen Konflikts um Jammu und Kaschmir<br />

wird in diesem Fall als Vorwand da<strong>für</strong> benutzt, eine<br />

ganze regionale Gemeinschaft von politischen<br />

Grundrechten und verfassungsrechtlichen Garantien<br />

auszuschließen.<br />

Gilgit-Baltistan, Hunza und Nagar bilden die früher<br />

sogenannten “Northern Areas” Pakistans, ein Gebiet,<br />

wo sich drei der größten Gebirgszüge der Welt kreuzen:<br />

der Karakorum, der Hindukusch und der Himalaya.<br />

Bis 1848 waren diese Täler meist kleine unabhängige<br />

Königreiche. Dann wurden sie vom Herrscherhaus<br />

der Dogra von Kaschmir erobert und besetzt. Als<br />

die britischen Kolonialherren den Subkontinent 1947<br />

verließen, entschied sich der Maharadscha von<br />

Kaschmir <strong>für</strong> den Beitritt zu Indien, obwohl sowohl<br />

Kaschmir (das Kaschmirtal und West-Kaschmir) als auch<br />

Gilgit-Baltistan eine fast ausschließlich muslimische<br />

Bevölkerung hatten. Gilgit-Baltistan wehrte sich<br />

dagegen mit einem bewaffneten Aufstand, der nach<br />

91 Tagen am 1. November 1947 mit dem Abzug der<br />

Truppen des Maharadscha endete. Als sich eine neue<br />

Invasion mithilfe indischer Truppen abzeichnete,<br />

entschied sich der militärische Befreiungsausschuss<br />

von Gilgit-Baltistan, Pakistan beizutreten. Dieser Akt<br />

ist nie durch eine Volksabstimmung in diesem Gebiet<br />

ratifiziert worden. Die pakistanische Regierung erklärte<br />

das gesamte Nordgebiet zur “Gilgit Agency”, das in<br />

der Folge von einem Statthalter (Agenten) Islamabads<br />

unter Anwendung des berüchtigten “Frontier Crimes<br />

Regulation Act” regiert wurde.

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