Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
Nordgebiete (Federal Administered Northern<br />
Areas F.A.N.A., mit 72.496 km 2 ) als de-facto<br />
abhängiges Gebiet Pakistans.<br />
AJK ist gemäß der Verfassung Pakistans kein regulärer<br />
Teil des Staatsgebiets und seine Bewohner sind nie<br />
durch gewählte Abgeordnete im Bundesparlament<br />
in Islamabad vertreten worden. Das gesamte Gebiet<br />
des früheren Fürstenstaats von Jammu und Kaschmir<br />
bleibt, gemäß pakistanischer Position, ein umstrittenes<br />
Gebiet, das von Pakistan beansprucht wird. Seine<br />
Aufteilung muss in direkten Verhandlungen zwischen<br />
Indien und Pakistan geklärt werden. Indien betrachtet<br />
die unter Pakistans Oberhoheit stehenden Gebiete als<br />
“von Pakistan besetztes Kaschmir”, während Pakistan<br />
das Kaschmirtal, Ladakh und das östliche Jammu als<br />
“indisch besetztes Kaschmir” bezeichnet. Während<br />
Indien den östlichen Teil voll in den Staat eingegliedert<br />
hat, fordert Pakistan dagegen die Einlösung des von<br />
den Vereinten Nationen ausgesprochenen Auftrags zur<br />
Abhaltung einer Volksabstimmung, um die Aufteilung<br />
endgültig zu klären. Dabei zeigt sich Pakistan auch<br />
nicht gewillt, einer dritten Option zuzustimmen,<br />
nämlich der Bevölkerung von Jammu und Kaschmir bei<br />
einer Volksabstimmung die Möglichkeit zu eröffnen,<br />
die Unabhängigkeit zu erhalten.<br />
AJK hat eine eigene Verfassung, gesetzgebende<br />
Versammlung (Parlament), Regierung und<br />
Verfassungsgericht. Die erste Kammer des Parlaments<br />
von AJK setzt sich aus 41 direkt gewählten und 8<br />
ernannten Abgeordneten zusammen. Der “Interim<br />
Constitution Act” von 1974 gestand diese Institutionen<br />
zu, doch die bisherigen Wahlen waren immer dem<br />
Verdacht und der Kritik massiver Wahlfälschungen<br />
ausgesetzt. So wurden etwa Parteien, die <strong>für</strong> die<br />
Unabhängigkeit ganz Jammu und Kaschmirs eintreten,<br />
gar nicht zu den Wahlen zugelassen. Dies gilt<br />
speziell <strong>für</strong> die Jammu and Kashmir Liberation Front<br />
(JKLF) und die All Party National Alliance, die auch<br />
im indisch verwalteten Kaschmir präsent sind. 365<br />
Dementsprechend hat sich seit mehr als 60 Jahren<br />
dieselbe, gegenüber der Regierung in Islamabad<br />
subalterne Partei in AJK mit absoluter Mehrheit an der<br />
Macht gehalten, nämlich die All Jammu and Kashmir<br />
Muslim Conference. Es stellt sich die Frage, ob Wahlen<br />
unter diesen Rahmenbedingungen als frei und fair<br />
betrachtet werden können und demzufolge AJK als<br />
ein “modernes Autonomiesystem” im Rahmen des<br />
pakistanischen Staats gelten kann, unter Wahrung<br />
des Bestimmungskriteriums eines demokratischen<br />
Rechtsstaats. Doch weder sind die Wahlen zum<br />
365 Art. 4 (7) und (2) der Interimsverfassung von 1974 besagen:<br />
“ S.231 unten)<br />
Regionalparlament von AJK wirklich frei und fair, noch<br />
sind die Institutionen dieses “Freistaats” wirklich<br />
von der Zentralregierung Pakistans unabhängig.<br />
Das übergeordnete politische Organ, das die Fäden<br />
in AJK zusammenhält, ist vielmehr der 11-köpfige<br />
“Azad Jammu and Kashmir Council”, der aus sechs<br />
Vertretern der Regierung von AJK und fünf Vertretern<br />
der pakistanischen Regierung besteht. Vorsitzender<br />
ist der Präsident Pakistans, weitere Mitglieder sind der<br />
Präsident und der Premierminister von AJK.<br />
Bloß regelmäßig abgehaltene Wahlen zur<br />
Regionalversammlung, von welchen unliebsame<br />
politische Kräfte von vornherein ausgeschlossen<br />
sind, sind zwecks Einstufung eines substaatlichen<br />
Gebiets als “regionale Demokratie” nicht ausreichend,<br />
auch wenn die Wahlen auf gesamtstaatlicher Ebene<br />
internationalen Standards demokratischer Verfahren<br />
genügen. Darüber hinaus ist nicht zu bestreiten,<br />
dass AJK politisch, wirtschaftlich, finanziell völlig<br />
von Pakistan abhängig ist. Die ungelöste Frage des<br />
völkerrechtlichen Konflikts um Jammu und Kaschmir<br />
wird in diesem Fall als Vorwand da<strong>für</strong> benutzt, eine<br />
ganze regionale Gemeinschaft von politischen<br />
Grundrechten und verfassungsrechtlichen Garantien<br />
auszuschließen.<br />
Gilgit-Baltistan, Hunza und Nagar bilden die früher<br />
sogenannten “Northern Areas” Pakistans, ein Gebiet,<br />
wo sich drei der größten Gebirgszüge der Welt kreuzen:<br />
der Karakorum, der Hindukusch und der Himalaya.<br />
Bis 1848 waren diese Täler meist kleine unabhängige<br />
Königreiche. Dann wurden sie vom Herrscherhaus<br />
der Dogra von Kaschmir erobert und besetzt. Als<br />
die britischen Kolonialherren den Subkontinent 1947<br />
verließen, entschied sich der Maharadscha von<br />
Kaschmir <strong>für</strong> den Beitritt zu Indien, obwohl sowohl<br />
Kaschmir (das Kaschmirtal und West-Kaschmir) als auch<br />
Gilgit-Baltistan eine fast ausschließlich muslimische<br />
Bevölkerung hatten. Gilgit-Baltistan wehrte sich<br />
dagegen mit einem bewaffneten Aufstand, der nach<br />
91 Tagen am 1. November 1947 mit dem Abzug der<br />
Truppen des Maharadscha endete. Als sich eine neue<br />
Invasion mithilfe indischer Truppen abzeichnete,<br />
entschied sich der militärische Befreiungsausschuss<br />
von Gilgit-Baltistan, Pakistan beizutreten. Dieser Akt<br />
ist nie durch eine Volksabstimmung in diesem Gebiet<br />
ratifiziert worden. Die pakistanische Regierung erklärte<br />
das gesamte Nordgebiet zur “Gilgit Agency”, das in<br />
der Folge von einem Statthalter (Agenten) Islamabads<br />
unter Anwendung des berüchtigten “Frontier Crimes<br />
Regulation Act” regiert wurde.