Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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2.5 Formen von<br />
Autonomie<br />
Hinsichtlich der Formen von politischer Autonomie ist<br />
zu unterscheiden zwischen Territorialautonomie und<br />
Kulturautonomie. Kulturautonomie wird gewährt, wenn<br />
eine ethnische oder kulturelle Minderheit in die Lage<br />
versetzt werden soll, ihre Sprache, Religion, Bräuche,<br />
Traditionen, Sozial-strukturen und alles, was insgesamt<br />
ihre kulturelle Identität mit Inhalt füllt, unabhängig<br />
von äußeren Institutionen selbstverantwortlich zu<br />
regeln. Lebt eine solche Minderheit in kompakter<br />
Weise in ihrem angestammten Siedlungsgebiet, stellt<br />
sich die Frage der Territorialautonomie. Die konkrete<br />
Ausgestaltung des Autonomie-systems erwächst dann<br />
nicht nur aus den Bedürfnissen und Forderungen<br />
an Selbstregierung und Selbstverwaltung einer<br />
besonderen Region bzw. Minderheit, sondern spiegelt<br />
auch den Kompromiss zwischen Zentralregierung und<br />
der nationalen Minderheit wider. Laut Ruth Lapidoth<br />
und Pan/Pfeil 73 lassen sich folgende drei Hauptformen<br />
von Autonomie unterscheiden.<br />
2.5.1 Territorialautonomie<br />
Territorialautonomie im engen Sinne umfasst nicht<br />
nur die Wahrnehmung von Verwaltungsbefugnissen<br />
durch lokale Institutionen, sondern setzt auch die<br />
Existenz eines gewählten lokalen Legislativorgans<br />
(Regionalparlaments) mit einem Mindestmaß an<br />
Gesetzgebungs-befugnissen in einigen grundlegenden<br />
Bereichen voraus. Außerdem ist eine vom Zentralstaat<br />
unabhängige, gewählte Exekutive erforderlich, die<br />
im autonomen Gebiet diese Gesetze zur Anwendung<br />
bringt. Territorialautonomie muss als ein spezieller<br />
Status einer bestimmten Region verstanden werden,<br />
der es der Bevölkerung erlaubt, ihre inneren<br />
Angelegenheiten durch ein eigenes Parlament, eine<br />
Regierung, Verwaltung und in gewissem Ausmaß<br />
eine eigene Gerichtsbarkeit selbst zu regeln, ohne<br />
Anspruch auf staatliche Souveränität zu begründen.<br />
Die autonomen Institutionen und ihre Zuständigkeiten<br />
werden durch Staatsgesetze oder Autonomiestatute<br />
mit Verfassungsrang begründet. Territorialautonomie<br />
muss notwendigerweise jene Politikbereiche<br />
einschließen, die <strong>für</strong> die Erhaltung der kulturellen<br />
Identität einer Minderheit maßgeblich sind:<br />
73 Christoph Pan/Beate S. Pfeil (2003), op.cit., Wien; und<br />
Ruth Lapidoth (1997), S. 33. Diese drei grundlegenden Formen<br />
von Autonomie werden auch im „Diskussions-Entwurf einer<br />
Sonder-Konvention Autonomierechte der Volksgruppen in Europa“<br />
der FUEV von 1994 näher definiert. Siehe Anhang, Teil 1.<br />
2 Das Konzept der politischen Autonomie<br />
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das Bildungssystem, einschließlich der höheren<br />
Bildungseinrichtungen wie Universitäten,<br />
das nach den Werten und Bedürfnissen der<br />
Minderheiten ausgestaltet werden können<br />
soll;<br />
Kulturinstitutionen, Kulturprogramme und<br />
Kulturför-derung im Allgemeinen;<br />
Denkmalschutz, Sitten und Bräuche;<br />
Rundfunk, Fernsehen, Print- und elektronische<br />
Medien;<br />
der Gebrauch nationaler Symbole;<br />
die Beteiligung an der Regelung doppelter<br />
Staatsbürgerschaften, falls durch die<br />
Umstände erforderlich.<br />
Ein zweites, breites Politikfeld wird <strong>für</strong> die soziale und<br />
wirtschaftliche Entwicklung der autonomen Einheit<br />
benötigt und muss wesentliche Regulierungsmöglichkeiten<br />
in diesem Bereich umfassen:<br />
- die Nutzung und Kontrolle der natürlichen<br />
Ressourcen;<br />
- die Regelung freier Berufe und des<br />
Lizenzwesens;<br />
- Steuerbefugnisse <strong>für</strong> die speziellen Bedürfnisse<br />
der Region;<br />
- das Gesundheitswesen und die Sozialpolitik<br />
einschließlich sozialer Sicherheit;<br />
- Transport zu Wasser, zu Lande, zur See (ohne<br />
internationale Infrastrukturen);<br />
- Energiegewinnung;<br />
- Umweltschutz;<br />
- die Kontrolle des lokalen Bankwesens;<br />
- die lokale und regionale Polizei;<br />
- die Raumordnung und Entwicklungsplanung;<br />
- die Wirtschaftsförderung.<br />
Auf den Umfang von Territorialautonomien, der sich<br />
im konkreten Fall wesentlich unterscheiden kann,<br />
wird im folgenden Kapitel 2.7 näher eingegangen.<br />
Als Mindestniveau an Territorialautonomie mit dem<br />
Hauptzweck des Minderheitenschutzes kann jenes<br />
gelten, das <strong>für</strong> die Erhaltung der Identität einer<br />
nationalen Minderheit nötig ist, während das optimale<br />
Niveau in der umfassenden Übertragung autonomer<br />
Befugnisse besteht, ohne dadurch die nationale<br />
Souveränität des Staates zu gefährden. Es muss<br />
jedoch gleichzeitig sichergestellt werden, dass jene<br />
sozialen und ethnischen Gruppen, die innerhalb des<br />
autonomen Gebiets eine zahlenmäßige Minderheit<br />
bilden, im Genuss ihrer grundlegenden Rechte und<br />
Freiheiten nicht diskriminiert werden.<br />
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