Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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Intervention verteidigen.<br />
Das erste Beispiel ist der Bayamo-Staudamm. In den<br />
90er Jahren bestach ein Energiekonzern einige Kuna-<br />
Gemeinschaften, um den Bau eines Wasserkraftwerks<br />
auf ihrem Territorium ohne Konsultation der übrigen<br />
Gemeinschaften durchzusetzen. Als Konsequenz<br />
sah sich das offizielle Kuna Yala gezwungen, die<br />
Entscheidungs-mechanismen des „Allgemeinen<br />
Kongresses“ und die Befugnisse der dörflichen sailas,<br />
der Gemeinschafts-vorsitzenden, neu zu regeln. Von nun<br />
an konnte nur mehr der „Allgemeine Kongress“ Fragen<br />
der Umsiedlung, Demarkierung und Entschädigung von<br />
Kuna-Familien bei Großprojekten regeln. Die Vertreter<br />
der Regierung müssen ihre Anliegen vor der gesamten<br />
Gemeinschaft vorbringen und mit ihr verhandeln. Die<br />
endgültige Entscheidung des Allgemeinen Kongresses<br />
hatte auf der Solidarität aller Dorfgemeinschaften<br />
im Sinne der allgemeinen Interessen der Kuna zu<br />
gründen. Nach ähnlichen Konflikten beim geplanten<br />
Bau eines Hotelkomplexes in Kuna Yala – und dies<br />
war der zweite Fall – wurde das Genehmigungsverfahren<br />
und die Entscheidungsmechanismen<br />
innerhalb der Kuna-Autonomie nochmals neu gefasst,<br />
um die Verantwortlichkeit der Dorfvorsitzenden, die<br />
Transparenz der Entscheidungen und die demokratische<br />
Partizipation der Bevölkerung zu stärken.<br />
Die Beziehung zwischen Panama und Kuna Yala<br />
bewegt sich dynamisch zwischen Spannungen,<br />
Stabilität und Verhandlungen. Im Staat Panama gibt<br />
es eine Asymmetrie auf politischer wie auf kultureller<br />
Ebene zwischen Gebieten mit mestizischer Mehrheit<br />
und jenen mit indigener Mehrheit. Auch die Welt der<br />
Kuna befindet sich in wachsendem Kontakt mit der<br />
Welt, durch die modernen Kommuni-kationsmittel, das<br />
Bildungssystem (die jungen Kuna besuchen Schulen und<br />
Hochschulen in Panama), die Wirtschaftsentwicklung<br />
und den Tourismus. Vor allem die jüngeren Kuna sind<br />
diesem ständigen Aufeinanderprallen der Kulturen<br />
ausgesetzt. Dennoch versucht die <strong>Gesellschaft</strong> der<br />
Kuna im Rahmen der demokratischen Struktur ihrer<br />
Autonomie beides zu bewahren, die Kultur und die<br />
natürlichen Lebensgrundlagen.<br />
Als die Regierung Panamas einem kanadischen Konzern<br />
die Genehmigung erteilte, das Kuna-Territorium zu<br />
explorieren, wurde dieser Akt von den Kuna erfolgreich<br />
zu Fall gebracht. Der Regierung selbst wurde es in<br />
einem anderen Fall untersagt, einen Hafen im Kuna-<br />
Territorium zu bauen. Doch sind die Kuna weder<br />
lokalistisch noch naiv: so haben sie unabhängig von<br />
der Zentralregierung Verträge zur transatlantischen<br />
3 Territorialautonomie am Werk<br />
Verlegung von Glasfaserkabeln in ihren Hoheitsgewässern<br />
ausgehandelt, die ihnen Einnahmen<br />
verschaffen ohne das Ökosystem zu stören.<br />
Das politische öffentliche Leben kann hier nicht<br />
verkürzt dargestellt werden. Einige Forscher<br />
definieren es als eine partizipative Demokratie mit<br />
theokratischen Elementen. 230 Demokratisch, da die<br />
gesamte Bevölkerung aktiv in die Entscheidungsfindung<br />
einbezogen wird; theokratisch, da die<br />
Gemeinschaftsführer auch religiöse Kompetenz und<br />
Ausstrahlung haben müssen. Bezogen auf Europa würde<br />
ein solches System am ehesten an jene Schweizer<br />
Kantone erinnern, die heute noch „Landsgemeinden“<br />
abhalten. Nicht die gesamte politische Macht wird<br />
an die gewählten Vertreter delegiert, sondern die<br />
Versammlungen auf Dorf- und Gemein-schaftsebene<br />
behalten eine starke Rolle und die „Basis“ kann sich<br />
einschalten, wann immer sie es <strong>für</strong> geboten hält.<br />
Abgesehen von der internen Legitimität und<br />
Effizienz hat dieses Autonomiesystem auch seine<br />
Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen<br />
bewiesen. Es steht in ständiger Verbindung und<br />
Austausch mit dem Gesamtstaat Panama, denn zwei<br />
Kuna-Abgeordnete vertreten die Comarca Kuna Yala<br />
im nationalen Parlament. Die politische und kulturelle<br />
Hartnäckigkeit der Kuna ist ein leuchtendes Beispiel <strong>für</strong><br />
viele indigene <strong>Völker</strong> Amerikas. Hier hat sich die Utopie<br />
einer ethnisch begründeten Territorial-autonomie in<br />
Lateinamerika seit fast 80 Jahren bewährt.<br />
Es gibt eine Fülle von politischen und sozialen<br />
Kontexten, wo indigene <strong>Völker</strong> als nationale<br />
Minderheit in ihrem angestammten Heimatland leben.<br />
Jede Situation verlangt spezielle Lösungen in Form<br />
von Verhandlungen, Strategien, Institutionen und<br />
Gesetzen, die zwischen Zentralstaaten und den lokalen<br />
und regionalen Gemeinschaften vereinbart werden<br />
müssen. Die Autonomie der Kuna hat bewiesen,<br />
dass eine „ethnische Autonomie“ eine der möglichen<br />
Lösungsformen von interethnischem Konflikt und eine<br />
Form effizienten Minder-heitenschutzes ist, vor allem<br />
in Gebieten, wo ein indigenes Volk noch in relativ<br />
homogener Weise siedelt. Die Kuna stellten ihre<br />
Zugehörigkeit zu Panama nie in Frage und akzeptierten<br />
den Weg der „internen Selbstbestimmung“, so lange<br />
der Staat bereit war, ihr Recht auf Autonomie und<br />
Kontrolle der eigenen Ressourcen zu respektieren.<br />
230 Heidi Feldt (2004), Indigene <strong>Völker</strong> und Staat, auf: http://<br />
www2.gtz.de/indigenas/deutsch/service/reader.html , S.54<br />
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