Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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Staats – und dies sind die Indianer oder Natives der<br />
USA – sind sie nicht mit denselben Rechten wir andre<br />
Bürger ausgestattet, sofern sie in einem Reservat<br />
leben.<br />
In einigen Fällen von selbstverwalteten Gebieten<br />
werden dessen Bewohner aufgrund der autonomen<br />
Gesetzgebung unterschiedlich behandelt, je nach<br />
Zugehörigkeit zur titularen ethnischen Gruppen des<br />
formell autonomen Gebiets. So sind sie etwa von<br />
der Wehrpflicht befreit, müssen bestimmte Steuern<br />
nicht zahlen und haben Anrecht auf besondere<br />
Sozialleistungen. Zu solchen Regelungen gesellt sich<br />
manchmal eine Differenzierung zwischen Angehörigen<br />
der indigenen <strong>Völker</strong> und vom restlichen Staatsgebiet<br />
zugewanderten Staatsbürgern beim Wahlrecht.<br />
Dies entspricht dem Konzept einer “ethnischen<br />
Autonomie”, die einer oder mehreren ethnischen<br />
Gruppen ein hohes Maß an interner Selbstbestimmung<br />
gewährleisten soll, nicht jedoch der regionalen<br />
Gemeinschaft als solcher. Auch wenn die historische<br />
Legitimität und demokratische Qualität eines solchen<br />
Arrangements hier nicht in Frage gestellt werden soll,<br />
entsprechen solche Formen der Selbstregierung nicht<br />
“modernen Autonomiesystems”. Dies erfordert die<br />
Gleichberechtigung aller Bürger in einem autonomen<br />
Gebiet hinsichtlich der politischen Grundrechte.<br />
Der Grundsatz der Rechtsgleichheit der Bürger der<br />
autonomen Region gilt auch bei der politischen<br />
Vertretung auf nationaler Ebene. Die frei gewählten<br />
Vertreter autonomer Gebiete im nationalen Parlament<br />
müssen in der Regel auch voll stimmberechtigt sein.<br />
In der Realität gibt es wiederum einige Grenzfälle,<br />
vor allem zwischen assoziierten Staaten und<br />
autonomen Regionen. Der Vertreter Puerto Ricos im<br />
US-Repräsentantenhaus hat z.B. dort kein Stimmrecht<br />
genauso wenig wie der Delegierte der Niederländischen<br />
Antillen im Parlament in Den Haag.<br />
Drei weitere Bürgerrechte können diesen Aspekt<br />
noch besser vor Augen führen: das Wahlrecht aller<br />
Bürger, die in der autonomen Region ansässig sind;<br />
die Freiheit des Wohnsitzes (Niederlassungsrecht)<br />
in der Region (mit gewissen Grenzen), und die<br />
nationale Wehrpflicht. Unter diesen Kriterium ist<br />
z.B. ein selbstverwaltetes Gebiet wie die Halbinsel<br />
Athos in Griechenland keine Autonomie, zumal diese<br />
Halbinsel ein erweitertes Klostergelände mit innerer<br />
Selbstverwaltung – geschaffen von der griechischen<br />
Regierung 1913 - darstellt, in der sich Nicht-Mönche<br />
gar nicht ansiedeln dürfen geschweige denn Frauen.<br />
Amerikas Indianerreservate müssen ebenfalls<br />
ausgeschlossen werden, da bestimmte Rechte an<br />
die persönliche Zugehörigkeit zu einem anerkannten<br />
2 Das Konzept der politischen Autonomie<br />
Stamm oder Volk geknüpft sind und Zugangs- und<br />
Niederlassungsfreiheit nur eingeschränkt besteht.). 123<br />
Die Anwendung dieser Kriterien<br />
zur Bestimmung der bestehenden<br />
Territorialautonomien<br />
Ausschließlich diese vier Kriterien erlauben uns, klar<br />
und eindeutig zu unterscheiden zwischen modernen<br />
Autonomiesystem und Autonomiearrangements,<br />
die nur dem Namen nach autonom sind, oder nur<br />
dem Zweck dienen einer ethnischen Gruppe oder<br />
Minderheit Selbstregierung zu verschaffen, nicht<br />
jedoch der gesamten regionalen Gemeinschaft, die<br />
dieses autonome Gebiet bewohnt. Selbstregierung<br />
macht keinen Sinn, wenn die betroffene Bevölkerung<br />
eines Gebiets nicht selbst frei ihre Regierenden wählen<br />
kann. Andererseits stellt die bloße geografische<br />
Besonderheit eines Gebiets, z.B. Sein Inselcharakter<br />
oder die Entfernung von der Hauptstadt, keinesfalls<br />
ein brauchbares Bestimmungskriterium dar. Obwohl<br />
tatsächlich ein gewisser Teil der weltweit bestehenden<br />
autonomen Regionen Inseln sind, trifft dies <strong>für</strong> die<br />
meisten bestehenden territorialen Autonomien<br />
nicht zu. Die Geografie ist zwar oft ein Argument<br />
bei Autonomiebestrebungen, aber nicht tauglich als<br />
Kriterium.<br />
Unter Anwendung dieser 4 Kriterien war es<br />
möglich, aus der wachsenden Zahl bestehender<br />
Autonomiearrangements jene Einheiten auszuwählen,<br />
die einen ausreichenden Mindeststandard an<br />
Territorialautonomie erfüllen. Diese Auswahl<br />
kommt einer Standardsetzung gleich, die sowohl<br />
<strong>für</strong> die theoretische Klarheit als auch die politische<br />
Brauchbarkeit des Konzepts der Territorialautonomie<br />
von Bedeutung ist. Bei Selbstbestimmungskonflikten<br />
mist es weder <strong>für</strong> Minderheiten, kleinere <strong>Völker</strong><br />
oder Regionen noch <strong>für</strong> Zentralstaaten von<br />
Nutzen, wenn grundlegende Kategorien und<br />
Konfliktlösungsvorschläge zweideutig bleiben. Wenn<br />
Territorialautonomien als Lösung in Frage kommen, sollen<br />
alle Konfliktparteien eine gemeinsames Verständnis<br />
davon haben, was moderne Territorialautonomie im<br />
Allgemeinen bedeutet und erfordert, welche Elemente<br />
und Qualifikationsmerkmale es erfüllen sollte und<br />
welche Erwartungen es realistischerweise erfüllen<br />
kann.<br />
123 Bei der Wehrpflicht können Bürger der autonomen Regionen<br />
vom Militärdienst befreit werden (Åland Inseln) oder<br />
das Recht erhalten, die Wehrpflicht ausschließlich in der autonomen<br />
Region abzuleisten (Niederländische Antillen.<br />
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