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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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Teil 6<br />

Ausblick: ein kollektives<br />

Grundrecht auf<br />

Autonomie?<br />

Im Allgemeinen waren die Staaten im vergangenen<br />

Jahrhundert sehr skeptisch bezüglich eines Rechts auf<br />

Autonomie. Oft wurde argumentiert, dass der Inhalt<br />

dieses Konzepts zu vage sei und nicht klar definiert<br />

werden könne. Doch gilt es zu unterscheiden zwischen<br />

dem Recht und seiner konkreten Anwendung. Jedenfalls<br />

steht das Interesse der Staaten, die volle Integrität<br />

ihres Territoriums zu bewahren, nicht im Gegensatz<br />

zu einem solchen Recht auf Autonomie. Darüber<br />

hinaus muss Autonomie oft ein zweifaches Problem<br />

bewältigen: den Schutz nationaler Minderheiten in<br />

ihrem Heimatland gewährleisten, doch auch alle<br />

anderen Volksgruppen der betroffenen Region in die<br />

Selbstregierung einschließen. Wie die Bezeichnung<br />

selbst schon verrät, soll Regionalautonomie der<br />

gesamten regionalen Gemeinschaft zugute kommen,<br />

nicht nur einem Teil der Bevölkerung einer Region.<br />

Obwohl immer noch kein Gruppenrecht auf Autonomie<br />

im <strong>Völker</strong>recht existiert, gibt es, wie erläutert,<br />

eine Fülle von Beispielen der effizienten Nutzung<br />

von Autonomieregelungen in allen Kontinenten.<br />

<strong>Autonomiesysteme</strong> werden üblicherweise als ad-hoc-<br />

Problemlösungen geschaffen, um den Forderungen<br />

und Interessen bestimmter Gruppen in einem Staat<br />

zu genügen. Heute ist ein Trend in Richtung mehr<br />

Dezentralisierung von Einheitsstaaten und auch<br />

Föderalstaaten zu beobachten. 392 Bundesstaaten<br />

kennzeichnet eine symmetrische vertikale<br />

Gewaltenteilung zwischen Zentrum und Gliedstaaten,<br />

während Autonomie normalerweise in asymmetrischer<br />

Weise zwischen dem Zentralstaat und einer autonomen<br />

Region eingerichtet wird. Unabhängig davon, welche<br />

Form Autonomieregelungen annehmen, gibt es eine<br />

überragende Notwendigkeit, die grundlegenden<br />

Bürger- und Menschenrechte und politischen<br />

Freiheiten <strong>für</strong> alle Bewohner eines autonomen Gebiets<br />

zu gewährleisten. Gerade wegen der Vielfalt der<br />

Formen und der historischen und politischen Kontexte<br />

gibt es auch einen Bedarf, Autonomie in rechtlichen<br />

Kategorien zu definieren. Damit könnte auch die<br />

unzureichende Kenntnis des Autonomiekonzepts<br />

ausgeglichen werden, die sogar unter jenen Kräften<br />

392 Vgl. hierzu das Webportal der Weltföderation der Föderalstaaten:<br />

http://www.forumfed.org<br />

6 Ausblick<br />

festzustellen ist, die sie fordern, um eine sichere<br />

Grundlage <strong>für</strong> Verhandlungen, Politikformulierung und<br />

Umsetzung zu ermöglichen.<br />

Nachdem Autonomie, ausgehend von historischen<br />

und aktuellen politischen Erfahrungen und rechtlichen<br />

Errungenschaften, ausreichend klare rechtliche<br />

Konturen gewonnen hat, wird eine Festschreibung im<br />

internationalen <strong>Völker</strong>recht immer dringender. 393 1994<br />

hat ein europäischer Dachverband von ethnischen und<br />

nationalen Minderheiten, die FUEV (Föderalistische<br />

Union Europäischer Volksgruppen 394 ) einen mutigen<br />

Entwurf <strong>für</strong> eine Konvention zum Recht auf Autonomie<br />

mit dem Titel „Autonomierechte der europäischen<br />

Volksgruppen“ vorgelegt. 395 Der Konventionsentwurf<br />

wurde allen relevanten internationalen Institutionen<br />

vom Europarat bis zum Europäischen Parlament<br />

vorgelegt, erreichte jedoch nie die Phase einer offiziellen<br />

Debatte innerhalb dieser Versammlungen. Er geht vom<br />

grundlegenden und unverzichtbaren Menschenrecht<br />

auf Selbstbestimmung aus, wie es im Art. 1.1 der VN-<br />

Menschenrechtspakte grundgelegt ist 396 und erkennt<br />

das Recht jedes bestehenden Staates an, seine<br />

territoriale Integrität zu bewahren. Die FUEV berief<br />

sich in ihrem Entwurf auf die Notwendigkeit, das Recht<br />

der <strong>Völker</strong> auf Selbstbestimmung zu achten, indem in<br />

Übereinstimmung mit den Zielen und Prinzipien der<br />

VN-Charta und den relevanten Regeln des <strong>Völker</strong>rechts<br />

gehandelt werden sollte (einschließlich des Rechts der<br />

Staaten auf territoriale Integrität). Sie betont, dass<br />

Autonomie verschiedene Formen entwickelt hat, die<br />

sich in den meisten Fällen bewährt haben. Die FUEV<br />

geht davon aus, dass das Recht auf Selbstbestimmung<br />

der <strong>Völker</strong> eine frei gewählte Autonomie einschließt,<br />

mit welcher diese <strong>Völker</strong> oder Volksgruppen ihre<br />

politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen<br />

Probleme innerhalb der gegebenen Staatsgrenzen<br />

selbst lösen können. Sie schlägt eine spezielle<br />

internationale Konvention vor, die die Grundlagen <strong>für</strong><br />

Autonomie vorgeben soll, wodurch implizit Autonomie<br />

als eine Form der Verwirklichung des unverzichtbaren<br />

Rechts auf Selbstbestimmung anerkannt würde.<br />

393 Die “Lund-Empfehlungen über die wirksame Beteiligung nationaler<br />

Minderheiten am öffentlichen Leben” beinhalten eine solche<br />

Vorkehrung zur Stärkung der Teilnahme am öffentlichen Leben<br />

und zum Schutz der Minderheitenrechte, Anhang, Teil 2.<br />

394 Vgl. die Website der FUEV: www.fuen.org<br />

395 Der volle Text findet sich im Anhang, Teil 1, und bei Pan/<br />

Pfeil (2003), Handbook for National Minorities in Europe, Wien,<br />

S. 278-286<br />

396 “Alle <strong>Völker</strong> haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft<br />

dieses Rechts streben sie frei ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle<br />

Entwicklung an“.<br />

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