Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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und Nachhaltigkeit zu gewinnen? Autonomie sollte<br />
eingeführt werden, bevor sich die Beziehungen<br />
zwischen der Mehrheitsbevölkerung eines Staats und<br />
der betroffenen ethnischen Minderheit – die in ihrer<br />
Region ihrerseits i.d.R. die Mehrheit bildet – wesentlich<br />
verschlechtert. Wenn es zu weit verbreiteter<br />
Frustration, Hass und sogar politisch motivierter Gewalt<br />
und nachfolgender militärischer Repression kommt,<br />
wird es immer schwieriger, sich auf Autonomie zu<br />
verständigen. Selbst wenn ein Autonomie-Kompromiss<br />
durch politische Vertreter erreicht worden ist, ist es bei<br />
verhärteten Fronten schwer, die angespannte Lage zu<br />
beruhigen und den bewaffneten Konflikt zu stoppen. 78<br />
Autonomie, die von oben ohne erforderliche Konsultation<br />
aufoktroyiert wird, wird wahrscheinlich wenig<br />
Akzeptanz finden und stets an Legitimitätsmängeln<br />
leiden. Eine Reihe von <strong>Autonomiesysteme</strong>n, die als<br />
Teil einer neuen Verfassungsordnung eines neuen<br />
unabhängigen Staates einer Region übergestülpt<br />
wurden, mussten später völlig erneuert werden,<br />
sofern sie überhaupt zur Anwendung kamen.<br />
<strong>Autonomiesysteme</strong> betreffen die interne Struktur<br />
eines Staates, doch in stärkerem Maße auch die<br />
Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen<br />
einer Region. Somit kann Autonomie auch auf heftigen<br />
Widerstand seitens einzelner Gruppen wie etwa den<br />
Angehörigen der staatlichen Mehrheitsbevölkerung in<br />
der Region stoßen. 79<br />
Bezüglich der Zuständigkeit, Autonomie-regeln<br />
abzuändern, gibt es verschiedene Optionen. Diese<br />
Befugnis kann ausschließlich der Zentralregierung<br />
vorbehalten bleiben, sie kann gemeinschaftlich vom<br />
Zentralstaat und der autonomen Region ausgeübt<br />
werden, oder nur von der autonomen Region allein<br />
unter Erfordernis der nachträglichen Genehmigung<br />
durch das zentrale Parlament.<br />
2.6.2 Die Bedeutung der rechtlichen<br />
Schutzmechanismen<br />
Wenn ein Autonomiearrangement zwischen einem<br />
Zentralstaat und einer Minderheit oder regionalen<br />
Gemeinschaft erreicht ist, sind rechtliche Garantien<br />
<strong>für</strong> die Autonomie unverzichtbar. Wie in Föderalstaaten<br />
78 Diese Dynamik war historisch gesehen im Muslimischen Mindanao,<br />
in Aceh and Bougainville zu beobachten, wo Untergruppen<br />
und Fraktionen militanter Unabhängigkeitsbewegungen den militärischen<br />
Widerstand trotz erster Anläufe zu Autonomie fortführten.<br />
79 In dieser Hinsicht sei an die Beispiele der ersten Autonomie<br />
Südtirols 1948 und des Südsudan 1954 erinnert. Auch Acehs erster<br />
Autonomie 2001 mangelte es an Legitimation.<br />
2 Das Konzept der politischen Autonomie<br />
muss insbesondere ausgeschlossen werden, dass<br />
grundsätzliche Regeln einseitig vom Zentralstaat<br />
abgeändert werden. Solche Abänderungen sollten<br />
nur mit dem Konsens der Mehrheit der betroffenen<br />
autonomen Region zulässig sein. Als zweiter Schritt der<br />
Erfordernis vollständiger demokratischer Legitimation<br />
sollte auch der Konsens anderer Minderheitengruppen,<br />
die die autonome Region bewohnen, eingeholt werden,<br />
was jedoch keine conditio sine qua non darstellen<br />
kann. Das entsprechende Verfahren zur Abänderung<br />
des Autonomie-statuts und zur Schlichtung von<br />
Streitfragen muss klar geregelt werden. Beratende<br />
Ausschüsse mit paritätischer Besetzung durch Vertreter<br />
des Staats und der Minderheiten müssen eingerichtet<br />
werden, doch höhere Organe der Justiz müssen <strong>für</strong><br />
volle Neutralität auf Appellationsebene sorgen, wenn<br />
die erste Vermittlungsinstanz kein Einvernehmen<br />
findet.<br />
Nach der Einrichtung einer Autonomie bleiben die<br />
betroffenen Regionen ein Teil des Staates, dem sie<br />
bis dahin angehörten, und teilen somit weiterhin eine<br />
Fülle von allgemeinen Problemen, abgesehen davon,<br />
dass der Zentralstaat in seinem Kompetenzbereich<br />
weiterhin in der autonomen Region tätig ist. Auch<br />
bei einer völlig klaren Aufteilung der Befugnisse<br />
und Verantwortungsbereiche beider Ebenen sind<br />
Überschneidungen in modernen Staaten unvermeidlich,<br />
und Koordination nicht nur zwischen Regionen und<br />
Zentralstaat, sondern auch mit supranationalen<br />
Organisationen (wie z.B. der EU) unumgänglich.<br />
Neben der Schlichtung von Streitfragen und den<br />
Konsultationsmechanismen liegt Koopera-tion im<br />
beiderseitigen Interesse, um gemeinsame Probleme<br />
zu lösen, was wiederum entsprechende permanente<br />
Organe erfordert. 80<br />
Das beste Autonomiesystem ist wenig wert, wenn es<br />
nicht umgesetzt wird oder ständig vom Zentralstaat<br />
verletzt oder unterlaufen wird. Deshalb liegt eine der<br />
Herausforderungen bei Autonomieverhandlungen<br />
darin, die Regeln so zu gestalten, dass zukünftige<br />
Verletzungen des Statuts oder seine Nicht-Erfüllung<br />
durch den Staat minimiert werden. Wenn die<br />
Umsetzung und mögliche Vertragsverletzungen<br />
vorweg-genommen werden, können solche Probleme<br />
bereits in der Phase der Einrichtung der Autonomie<br />
vermieden werden, wie z.B. durch:<br />
a)<br />
Die Genauigkeit der Übereinkunft: wenn<br />
80 In Spanien werden beispielsweise regelmäßige Treffen zwischen<br />
Vertretern des Zentralstaats (Ministerien) und der Autonomen<br />
Gemeinschaften bezüglich bestimmter Politikfelder abgehalten.<br />
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