Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
aller Art und trieb mehrere 100.000 Menschen in die<br />
Flucht. 252<br />
Am 26. Dezember 2004 wurde die Westküste von Aceh<br />
einschließlich der Städte Banda Aceh, Calang und<br />
Meulaboh von einem Tsumami bisher ungekannter<br />
Gewalt verheert: 230.000 Menschen kamen in<br />
den Fluten um, 400.000 wurden obdachlos. Einige<br />
Viertel der Hauptstadt Banda Aceh wurden völlig<br />
zerstört und viele Küstenorte verschwanden von der<br />
Bildfläche. Unter dem Eindruck dieser Katastrophe<br />
erklärten Armee und GAM einen Waffenstillstand<br />
und betonten die Notwendigkeit einer sofortigen<br />
Friedenslösung. Die indonesische Regierung hielt<br />
jedoch die Zugangsbeschränkungen <strong>für</strong> Journalisten<br />
und Hilfsorganisationen in die umkämpften Gebiete<br />
aufrecht, obwohl Aceh insgesamt <strong>für</strong> die ausländische<br />
Katastrophenhilfe geöffnet wurde.<br />
2005 trat der erste frei gewählte Präsident Indonesiens<br />
sein Amt an. Yudhoyono drängte sofort auf neue<br />
Verhandlungen mit der GAM mit dem Ziel Autonomie.<br />
Die von Finnland vermittelten und in Helsinki<br />
abgehaltenen Friedensgespräche führten rasch zu<br />
einem „Memorandum of Understanding“, das am 15.<br />
August 2005 unterzeichnet wurde und den 29 Jahre<br />
dauernden militärischen Konflikt zwischen Jakarta<br />
und Aceh beendete. Im Dezember 2005 wurde der<br />
militärische Flügel der GAM formell aufgelöst und der<br />
größere Teil der indonesischen Armee zog sich aus<br />
Aceh zurück.<br />
Hauptursache des Konflikts waren in geringerem<br />
Maße religiös-ethnische Differenzen, als vielmehr die<br />
fortgesetzte Weigerung der Zentralregierung, der<br />
Bevölkerung Acehs mehr politische und wirtschaftliche<br />
Selbstbestimmung zuzuge-stehen. Neben dem<br />
militärischen Widerstand der GAM hatte sich in<br />
Aceh auch ein weitverzweigtes Netz an politischen<br />
Kräften der Zivilgesellschaft herausgebildet, die mit<br />
gewaltfreien Mitteln <strong>für</strong> die Rechte der Acehnesen<br />
kämpften und sich <strong>für</strong> die Möglichkeit der freien<br />
Entscheidung der Bevölkerung einsetzten. Doch auch<br />
auf der anderen Seite gab es mindestens drei Gruppen,<br />
die ein konkretes Interesse an der Fortsetzung des<br />
Konflikts hegten. Erstens, die indonesische Armee,<br />
die offiziell zur Aufrechterhaltung der nationalen<br />
Integrität im Einsatz waren, als Garant der staatlichen<br />
Einheit Indonesiens. Doch hatten die Militärs abseits<br />
der offiziellen Legitimation ein direkter Interesse an<br />
der Nutzung der Ressourcen Acehs, da sie <strong>für</strong> die<br />
Sicherheit der Erdöl- und Erdgaskonzerne zu sorgen<br />
252 Vgl. http://www.hrw.org/ : Human Rights Watch<br />
hatten. Zudem ließ sich aus dem Drogen- und<br />
Waffenhandel zusätzlicher Profit erzielen. Unter den<br />
höchsten Militärs machte das geflügelte Wort die<br />
Runde: „Wenn du aus Aceh zurückkommst, bist du<br />
entweder reich oder tot“. 253 Eine dritte Gruppe war<br />
ein Teil der mit der Zentralregierung kollabo-rierenden<br />
lokalen Elite, die aus der Militärpräsenz in Aceh<br />
wesentliche wirtschaftliche Gewinne zog.<br />
3.18.3 Acehs neue Autonomie<br />
Acehs Autonomie befindet sich nach der Verabschiedung<br />
des Autonomiegesetzes im Juli 2006 noch im Aufbau,<br />
doch nach dem Scheitern der ersten beiden Versuche<br />
zur Errichtung einer Territorialautonomie 1953 und<br />
2002 scheint der dritte Anlauf unter besserem Stern zu<br />
stehen. Nach 29 Jahren Guerrillakrieg und dem Trauma<br />
des Tsunami vom 26. Dezember 2004 scheint der<br />
politische Kontext <strong>für</strong> eine dauerhafte Friedenslösung<br />
aufgrund einer umfassenden Selbstverwaltung der<br />
Provinz günstig zu sein. In ihrem Einvernehmensprotokoll<br />
hatte die Bewegung <strong>für</strong> ein freies Aceh<br />
GAM und die Zentralregierung einen vollständigen<br />
Waffen-stillstand, den Verzicht auf Unabhängigkeit<br />
und die Entwaffnung der Rebellen vereinbart. Die<br />
indonesische Regierung erlaubte ihrerseits der GAM,<br />
sich in eine regionale politische Partei umzuwandeln.<br />
Dies bedeutet eine Abweichung von einer Verfassungsbestimmung,<br />
die nur staatsweit konstituierte Parteien<br />
erlaubt, die in mindestens der Hälfte aller Provinzen<br />
Indonesiens präsent sein müssen. Die Zahl der<br />
Regierungssoldaten in Aceh sollte auf 14.700, jene<br />
der Polizisten auf 9.100 beschränkt bleiben. Die neue,<br />
gemeinsam von der EU und ASEAN gebildete „Aceh<br />
Monitoring Mission“ (AMM) überwacht die Umsetzung<br />
dieser Verpflichtungen. 254<br />
Eine häufig geäußerte Kritik am Sonderautonomiegesetz<br />
von 2001 war jene, dass es in Aceh kaum Konsultationen<br />
gegeben hatte, weshalb viele Bestimmungen den<br />
Vorstellungen der Acehnesen zuwiderliefen. Bei der<br />
Ausarbeitung des neuen Autonomiegesetzes seit<br />
September 2005 wurde hingegen die Bevölkerung<br />
selbst, die Diaspora-Gemeinschaft und die Nicht-<br />
Regierungsorganisationen Acehs ausgiebig<br />
einbezogen. Der Gesetzes-vorschlag wurde nach<br />
diesen Befragungen vom Provinzparlament auf der<br />
Grundlage eines Entwurfs der drei Universitäten<br />
253 Edward Aspinall, Peace at last?, in Inside Indonesia, October/<br />
December 2005<br />
254 Crisis Group Asia Briefing, n.44, 13 December 2005, Aceh:<br />
so far, so good, http://www.icg.org