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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

Seit 1991 haben eine Reihe von Föderalgesetzen<br />

und Erklärungen den Schutz der Rechte ethnischer<br />

Minderheiten verbessert. Obwohl im Jahr 2000 der<br />

Duma ein Gesetzesvorschlag über die „Grundsätze der<br />

staatlichen Nationalitätenpolitik mit der Russischen<br />

Föderation“ vorgelegt wurde, der eine Reihe von<br />

Richtlinien zum Schutz nationaler Minderheiten<br />

enthielt, gibt es bis heute noch kein allgemeines<br />

Gesetz zur Regelung dieser Rechte. 296<br />

Die politische Debatte nach der Umgestaltung der<br />

Russischen Föderation 1993 führte zur Frage, wie<br />

das multinationale Russland seiner ethnische Vielfalt<br />

gerecht werden sollte. Sollte die Unterteilung der<br />

Föderation in ethnisch konstituierte Föderalsubjekte<br />

weitergehen, obwohl dieses Konzept klare Grenzen<br />

aufwies?<br />

„Die Schlussfolgerung war, dass weder eine absolute<br />

nicht-ethnische Struktur noch eine ausschließlich<br />

ethnisch definierte Territorialstruktur Russlands<br />

Probleme lösen kann. So scheint die Zeit gekommen<br />

zu sein, schrittweise Elemente von Kulturautonomie<br />

einzuführen. Dieses ist entscheidend, wenn man<br />

die Nationalitätenfrage umfassend <strong>für</strong> <strong>Völker</strong> und<br />

nationale Minderheiten lösen will, nicht jedoch <strong>für</strong><br />

geographische Räume. 297<br />

Der wichtigste Schritt in diese Richtung war die<br />

Verabschiedung des „Gesetzes zur nationalen<br />

Kulturautonomie“ am 17. Juni 1996. Art.1 definiert die<br />

nationale Kulturautonomie folgendermaßen: 298<br />

1. sie begründet eine Form der nationalen,<br />

kulturellen Selbstbestimmung der Bürger der<br />

Russischen Föderation, die sich eine bestimmten<br />

ethnischen Gemeinschaft zugehörig fühlen;<br />

2. sie ist auch ein Mittel, mit dem russische<br />

Bürger ihre nationalen Interessen schützen, da sie<br />

verschiedene Wege und Formen nationaler kultureller<br />

Entwicklung erkunden können;<br />

3. sie ist ein freiwilliger (nicht politischer)<br />

Zusammenschluss, der auf der freiem Entschluss von<br />

Bürgern beruht, die sich einer bestehenden ethnischen<br />

Gemeinschaft zugehörig fühlen;<br />

4. sie kommt zustande, um in unabhängiger<br />

Weise die Erhaltung der Sprache, Kultur, Traditionen<br />

und Gebräuche von Menschen sorgt, die verschiedenen<br />

ethnischen Gemeinschaften angehören.<br />

in der russischen Nationalitätenpolitik. In der Sowjetzeit<br />

wurde eine hierarchische Rangordnung von<br />

ethnisch-nationalen begründeten Einheiten durchgesetzt.<br />

Kulturautonomie wurde zugunsten der territorialen<br />

Dimension der Autonomie vernachlässigt, doch<br />

im jeweiligen autonomen Region dominierte ohnehin<br />

die russische Bevölkerung und politisch gesehen die<br />

kommunistische Partei. Das Konzept der Kulturautonomie<br />

sollte eine neue, umfassende Rechtsbasis bieten,<br />

um ethnischen Gemeinschaften – kleineren, verstreut<br />

lebenden Minderheiten, Ureinwohnern und anderen –<br />

das Überleben und die Entfaltung ihrer kulturellen und<br />

sprachlichen Eigenart und ihrer Traditionen und Bildungswesens<br />

zu ermöglichen. Doch verabsäumte es<br />

dieses Gesetz, eine erschöpfende Liste der ethnischen<br />

Gemeinschaften zu liefern, die <strong>für</strong> Kulturautonomie<br />

berechtigt waren und blieb in der konkreten Ausgestaltung<br />

von Kulturautonomie ziemlich vage.<br />

Dennoch stellt dieses „Nationale Gesetze zur<br />

Kulturautonomie“ einen Bruch mit dem traditionellen<br />

Ansatz der interethnischen Beziehungen in Russland<br />

dar. Von 1996 an musste bei der Organisation der<br />

verschiedenen autonomen Subjekte der Föderation,<br />

abgesehen von Aspekten der Territorialautonomie,<br />

auch die gesamte Bandbreite der kulturellen Rechte<br />

der Bürger berücksichtigt werden, die sich in freier<br />

Wahl als einer ethnischen Gemeinschaft zugehörig<br />

erklären konnten. Durch Einführung dieses Prinzips<br />

wird das post-sowjetische Russland schrittweise<br />

sich von der dominanten Tendenz wegbewegen und<br />

der autochthonen Bevölkerung mehr Spielraum<br />

einräumen. Es ist noch nicht abzusehen, ob diese<br />

Tendenz die Grundmerkmale der Föderationssubjekte<br />

ändern wird, die immer als Wesensmerkmal die<br />

territoriale Autonomie und Konkordanz-demokratie<br />

unter Einschluss aller ethnischen Gruppen betont<br />

haben.<br />

Nationale kulturelle Autonomie ist ein neues Element<br />

194<br />

296 Kartashkin/Abashidze ( 2004), S. 205<br />

297 Kartashkin/Abashidze ( 2004), S.218<br />

298 Zu dieser Frage vgl. das Kapitel 2.3 zu den Formen von<br />

Autonomie.

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