Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
3.10 Die Azoren und<br />
Madeira (Portugal)<br />
Portugal galt viele Jahrzehnte lang als ein<br />
Land ohne nationale Minderheiten und ohne<br />
Minderheitensprachen. Dann „entdeckte“ man die<br />
Mirandes-Sprecher – ein kastilischer Dialekt – an<br />
der Grenze zu Spanien und größere Gruppen von<br />
Roma. Doch Autonomie wurde in Portugal nicht<br />
aufgrund ethnischer oder sprachlicher Kriterien<br />
eingerichtet, sondern aufgrund geographischer<br />
Bestimmungsfaktoren, nämlich auf den beiden<br />
Inselgruppen Madeira und Azoren. Erstere liegt gerade<br />
mal 100 Kilometer südwestlich der portugiesischen<br />
Küste, während die Azoren mitten im Atlantik auf<br />
Halbweg zwischen Europa und Amerika aufragen.<br />
Die Azoren bestehen aus drei Inselgruppen, Madeira<br />
umfasst nur vier Inseln. Die Inselgruppen der Azoren<br />
liegen beträchtlich voneinander entfernt: 100 Meilen<br />
nordwestlich der Hauptinselgruppe liegt Sao Miguel<br />
und Santa Maria, 150 Meilen südwestlich Flores und<br />
Corvo.<br />
Bevölkerung der Azoren 253.500<br />
(2005 geschätzt)<br />
Fläche 2.333 km 2<br />
Hauptstadt<br />
Ponta Delgada, Horta<br />
Amtssprache<br />
Portugiesisch<br />
Autonomie seit 1976<br />
http://en.wikipedia.org/<br />
Beide Inselgruppen wurden von den Portugiesen<br />
zwischen 1335 und 1342 entdeckt, doch erst in<br />
der Zeit König Heinrichs 1433-1460 besiedelt. Das<br />
Interesse der Seefahrer, die westafrikanische Küste<br />
zu plündern und den Sklaven- und Goldhandel<br />
anzukurbeln, führten zum Ausbau von Madeira als<br />
günstig gelegenem Zwischenlandeplatz <strong>für</strong> Schiffe auf<br />
der Fahrt nach oder von Portugal Richtung Westafrika.<br />
Wie Madeira Richtung Afrika waren die Azoren die<br />
letzte Station der europäischen Expansion vor der<br />
neuen unbekannten Welt im Westen. Während der<br />
Jahre der „Entdeckung“ und Kolonisierung Amerikas<br />
dienten die Azoren als letzter Stützpunkt vor der<br />
gefährlichen Überfahrt des westlichen Atlantiks. Nach<br />
der Ära der Entdeckungen und mit der Eingliederung<br />
Portugals ins spanische Königreich 1550 wurden die<br />
Azoren ein Rückzugsort <strong>für</strong> politische Flüchtlinge bis<br />
1920. In der portugiesischen Verfassung von 1976<br />
wurde den Azoren und Madeira der Sonderstatus als<br />
„Autonome Regionen“ zuerkannt. Die Verfassung<br />
stellte klar, dass die besonderen politischen und<br />
administrativen Rechte der Azoren und Madeiras auf<br />
ihren geographischen, wirtschaftlichen und sozialen<br />
Besonderheiten sowie auf den historischen Wünschen<br />
seiner Bewohner nach Autonomie beruhten. 216 Es wird<br />
festgehalten, dass die Autonomie in keiner Weise<br />
Portugals Souveränität beeinträchtigen darf und in<br />
den Grenzen der Verfassung ausgeübt werden muss.<br />
3.10.1 Die Autonomieregelungen<br />
Laut Autonomiestatut von 1976 ist der Großteil der<br />
inneren Angelegenheiten der Inseln den autonomen<br />
Institutionen der Azoren und Madeiras übertragen<br />
worden. Die Autonomie der beiden Inselregionen<br />
unterliegt jedoch der Kontrolle des Präsidenten Portugals<br />
und eines beim Ministerrat angesiedelten, fünfköpfigen<br />
Beraterausschusses. Die Regionalversammlungen<br />
sind ermächtigt, über alle politischen Bereiche zu<br />
bestimmen, die <strong>für</strong> die Inseln von besonderem<br />
Interesse sind. Sie können regionale Entwicklungspläne<br />
erstellen und an der Ausarbeitung der nationalen<br />
Entwicklungs-programme mitwirken. Sie haben auch<br />
die Befugnis, regionale Steuern einzuheben und 95%<br />
ihrer Einkünfte frei zu verausgaben. Die Abgeordneten<br />
der beiden Ein-Kammer-Versammlungen der Azoren<br />
und Madeiras werden nach Verhältniswahlrecht direkt<br />
<strong>für</strong> die Amtszeit von vier Jahren gewählt.<br />
Der Vorsitzende dieser Regionalregierungen wird von<br />
der Regionalversammlung aus ihren Reihen gewählt<br />
und offiziell vom zuständigen Minister der Republik<br />
ernannt. Der Regionspräsident ernennt seinerseits<br />
die Mitglieder seiner Regionalregierung, die der<br />
Regionalversammlung Rechenschaft schulden und von<br />
ihr mit einem Misstrauensvotum abberufen werden<br />
können.<br />
Für politische und administrative Anliegen sind die<br />
216 Die portugiesische Verfassung findet sich unter: http://nhmccd.cc.tx.us/contracts/lrc/kc/constitutions-subject.html<br />
(die Verfassungen<br />
der Welt)