Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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6 Ausblick<br />
der Konventionsentwurf zu Recht nicht willkürlicher<br />
Spekulation, welche Zuständigkeiten Territorialautonomie<br />
umfassen sollte, sondern listet im Artikel<br />
5, Abs.2, die Kernverantwortlichkeiten auf, die einer<br />
autonomen Region übertragen werden müssen. Es ist<br />
fragwürdig, ob jeder Signatarstaat, der die Konvention<br />
zu unterzeichnen gedenkt, <strong>für</strong> eine voll ausgebildete<br />
Autonomie in Übereinstimmung mit diesem Artikel<br />
sorgen kann, doch andererseits ist offenkundig, dass<br />
ein Mindeststandard des Umfangs an Zuständigkeiten<br />
einer Territorialautonomie klar fixiert werden muss,<br />
während es den „Autonomie-Partnern“ überlassen<br />
bleiben kann, darüber hinausgehende, noch<br />
umfassendere Lösungen zu finden.<br />
Unterscheidung versucht der Konventionsentwurf<br />
den Bedürfnissen jener Volksgruppen entgegen<br />
zu kommen, die in ihrer Heimatregion nicht die<br />
Mehrheits-bevölkerung bilden, sowie jenen Gruppen,<br />
die in isolierten Gebieten oder verstreut über ein<br />
größeres Gebiet leben und das Gebiet mit anderen<br />
Gruppen teilen. Eine solche mehrschichtige Form der<br />
Autonomie kommt übrigens dem von VN-Organen<br />
erörterten Konzepten interner Selbstbestimmung<br />
indigener <strong>Völker</strong> sehr nahe. Der Konventionsentwurf<br />
enthält darüber hinaus auch einen präzisen Artikel<br />
über die finanziellen Mittel und Vorkehrungen, zumal<br />
verschiedene autonome Regionen infolge fehlender<br />
finanzieller Mittel nicht funktionieren könnten.<br />
Artikel 7 hält jedenfalls ausdrücklich die<br />
Kernzuständigkeiten im kulturellen und wirtschaftlichen<br />
Bereich fest, die beide von vitalem Interesse <strong>für</strong> jedes<br />
bestehende Autonomiesystem sind: der erste Bereich<br />
<strong>für</strong> den Schutz und die Entfaltung der kulturellen<br />
Identität einer ethnischen Minderheit, letztere zur<br />
Sicherung der materiellen Basis einer Autonomie in<br />
seiner territorialen Dimension. In diesem Sinne bleiben<br />
dem Zentralstaat die klassischen Kernbefugnisse<br />
der Außenpolitik, Verteidigung, Geldpolitik und<br />
makroökonomischen Wirtschaftspolitik, Immigrationsund<br />
Staatsbürgerschaftsrecht, Zivil- und Strafrecht.<br />
Doch in einigen Staaten werden auch diese Bereiche<br />
zunehmend supranational koordiniert, wenn souveräne<br />
Staaten freiwillig einer regionalen supranationalen<br />
Organisation wie z.B. der EU beitreten. Nun ist zwar<br />
noch nicht die Bildung einer echten „Weltinnenpolitik“<br />
zu beobachten, doch nimmt die Bedeutung souveräner<br />
Staaten ab, wenn solche Kompetenzen supranationalen<br />
Instanzen übertragen werden.<br />
In den Artikeln 7, 8, 9 und 10 werden auch die<br />
übrigen Formen von Autonomie präzise definiert:<br />
die Kulturautonomie und Lokalautonomie (bzw. das<br />
Recht auf lokale Selbstverwaltung). 400 Mit dieser<br />
400 Erwähnt werden soll in diesem Zusammenhang auch die “Europäische<br />
Charta zur lokalen Selbstverwaltung (European Charter<br />
of Local Self-government) vom Oktober 1985, die seit September<br />
1998 in Kraft ist und derzeit von 38 Europarat-Mitgliedsländern<br />
ratifiziert ist (Stand Oktober 2002). Darin werden einige grundlegende<br />
föderalistische Prinzipien festgeschrieben, die sich zwar nicht<br />
unmittelbar auf nationale Minderheiten beziehen, aber <strong>für</strong> sie sehr<br />
relevant sind. Überschneidungen und Parallelen sind vor allem beim<br />
Konzept der Lokalautonomie offenkundig. Die potenziellen Synergien<br />
sind noch nicht ausgeschöpft worden. Die föderalistische Konzeption<br />
von Lokalverwaltung (gemäß Subsidiaritätsprinzip) muss<br />
mit Prinzipien des Minderheitenschutzes in optimaler Weise kombiniert<br />
werden. Dies ist umso wichtiger als viele Minderheiten nicht in<br />
kompakter Weise siedeln, sondern in verstreuter Form. Somit kann<br />
nur durch Selbstverwaltung auf lokaler Ebene <strong>für</strong> ihren Schutz gesorgt<br />
werden. Dies ist von der Parlamentarischen Versammlung des<br />
Europarats versucht worden mit der Empfehlung Nr.43 zu „Territo-<br />
Ein letzter Aspekt verdient noch besondere<br />
Aufmerksamkeit: wie soll eine Autonomie und ihre<br />
vereinbarungsgemäße Umsetzung rechtlich geschützt<br />
und verankert werden? Wie in verschiedenen<br />
Kapiteln dieses Textes angedeutet, ist dies ein<br />
ganz entscheidender Aspekt <strong>für</strong> beide Parteien<br />
in einem Staat-Minderheiten-Konflikt, der durch<br />
ein Autonomiearrangement gelöst werden soll.<br />
Welche Instanz wird die Umsetzung der Autonomie<br />
in nationales Recht überwachen, und welche<br />
Drittstaaten oder unabhängige Institutionen sind<br />
aufgerufen, den gesamten Prozess zu begleiten?<br />
Bezüglich des ersten Erfordernisses sind alle<br />
denkbaren Formen interner Koordination angeführt<br />
worden. Im Hinblick auf letzteres Erfordernis, bezieht<br />
sich Art. 15 (individuelle und Staatsbeschwerden)<br />
auf den allgemeinen europäischen Kontext. In<br />
Europa ist jeder existierende Staat Signatarstaat<br />
der Europäischen Menschenrechtskonvention,<br />
der Grundcharta des Europarats. Somit ist die<br />
Europäische Menschenrechtskommission berufen,<br />
als höchstes Vermittlungsorgan zu fungieren.<br />
Auf globaler Ebene könnten diese Aufgaben der<br />
Menschenrechtskommission der VN, der VN-<br />
Generalversammlung oder dem Haager Internationalen<br />
Gerichtshof übertragen werden.<br />
Gleichzeitig ist es ganz unverzichtbar, klare<br />
Rechtsbehelfe und Überwachungsmechanismen<br />
vorzusehen sowie Möglichkeiten der internationalen<br />
Verankerung der Autonomie. Sowohl die<br />
Staatsvertreter als auch die Vertreter der<br />
Minderheiten werden, insbesondere im Fall von lang<br />
anhaltenden Konflikten auf mehreren Ebenen, einer<br />
Kompromisslösung <strong>für</strong> interne Selbstbestimmung<br />
erst zustimmen, wenn völkerrechtlich verbindliche<br />
rialautonomie und nationale Minderheiten“ vom 27. Mai 1998. Vgl.<br />
Pan/Pfeil (2003), Handbook, 200<br />
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