Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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5 Schlussfolgerungen<br />
sein, da die Gewährung von Autonomie ja vom Verzicht<br />
auf die Ausübung externer Selbstbestimmungsrechtes<br />
begleitet wird. In den meisten Regionen gibt<br />
es noch politische Kräfte, die <strong>für</strong> Sezession eintreten.<br />
Sie wünschen sich die Unabhängigkeit oder den<br />
Anschluss an den verwandten Schutzmacht-Staat, doch<br />
schrumpft ihr Einfluss bei funktionierender Autonomie<br />
(Nordirland, Baskenland, Südtirol, Neukaledonien).<br />
In den meisten Fällen konnte die Einführung<br />
von Autonomie Gewalt beenden. Andererseits<br />
wird Gewalt aber von nationalen Minderheiten<br />
ausgeübt, die keine Autonomie erhalten haben,<br />
wie z.B. von Muslimen in Pattani (Thailand), von<br />
verschiedenen Minderheitenvölker in Myanmar/<br />
Burma; den indigenen <strong>Völker</strong> West Papua/Irian<br />
Jayas und einigen kleineren <strong>Völker</strong>n des indischen<br />
Nordostens. 370 Auch die gewaltbereiten Fraktionen<br />
von Selbstbestimmungsbewegungen scheinen dem<br />
Beispiel der IRA in Nordirland zu folgen (ETA im<br />
Baskenland, kleinere Gruppen auf Korsika) und die<br />
Gewaltstrategie aufzugeben, wenn die Autonomie<br />
weit genug ausgebaut wird. Langwährende Gewalt<br />
hatte in solchen Regionen zu Autonomiekompromissen<br />
geführt. Anscheinend hat eine wachsende Zahl von<br />
Staaten erkannt, dass Autonomie der Integration von<br />
kleineren <strong>Völker</strong>n und nationalen Minderheiten in den<br />
Staat fördert und Konfliktsituationen eher stabilisiert,<br />
die sonst außer Kontrolle geraten könnten.<br />
zurückzustutzen. Im Gegenteil: in den meisten Fällen<br />
werden Autonomiestatute weiterentwickelt, um sie<br />
neuen Erfordernissen anzupassen. In Spanien ist<br />
eine dynamische Entwicklung des Gesamtsystems<br />
des „Staats der autonomen Gemeinschaften“<br />
im Gange. 2006 ist das neue Autonomiestatut<br />
der bevölkerungsreichsten autonomen Region<br />
Europas, Kataloniens, von der Bevölkerung in einer<br />
Volksabstimmung und später vom spanischen<br />
Parlament gutgeheißen worden. Serbiens Parlament<br />
hat am 30. November 2009 das neue Autonomiestatut<br />
der multiethnischen Provinz Vojvodina verabschiedet.<br />
In Korsika arbeiten politische Kräfte an der Reform<br />
der bisher eher schwachen Selbstverwaltung, um die<br />
legislativen Kompetenzen der „Territorialkollektivität<br />
Korsika“ zu erweitern. In Italien ist eine Reform<br />
zur Erweiterung der Befugnisse der Regionen mit<br />
Normalstatut vor allem hinsichtlich der Finanzbefugnisse<br />
in Gang, die auch der fünf autonomen Regionen<br />
berührt.<br />
In Rumänien wächst der politische Druck der<br />
ungarischen Volksgruppe <strong>für</strong> die Schaffung eines<br />
autonomen Szeklerlands. Der Prozess der europäischen<br />
Integration war ohne Zweifel hilfreich <strong>für</strong> den Schutz<br />
der Minderheiten innerhalb der EU, doch bleiben<br />
Autonomielösungen strikt in der Kompetenz der<br />
Mitgliedsländer, auch wenn die EU, andere europäische<br />
Schutzmachtstaaten und Organisationen ihren Einfluss<br />
auszuüben versuchen.<br />
5.1.2 Autonomie geografisch „einseitig“<br />
verteilt<br />
Blickt man auf die „Weltkarte der Autonomien“, ist<br />
Europa noch klar als Schwerpunkt bestehender<br />
Autonomien auszumachen. 371 Die Territorialautonomien<br />
Europas haben sich in nahezu allen Fällen zum<br />
Nutzen der beteiligten Akteure bewährt, nämlich<br />
der nationalen Minderheiten, die regionalen<br />
Gemeinschaften, die Zentralstaaten und einige<br />
Schutzmacht-Staaten. In keinem der 11 europäischen<br />
Staaten mit funktionierenden <strong>Autonomiesysteme</strong>n<br />
gibt es eine politische Debatte, diese wieder<br />
370 Vgl. auch Fernand De Varennes, Lessons in Conflict prevention:<br />
A Comparative Examination of the Content of Peace Accords,<br />
in: The Global Review of Ethnopolitics, Vol. 1, no.3, March 2002,<br />
S. 53-59<br />
371 Eine Übersicht über die Autonomien in Europa findet sich bei:<br />
Thomas Benedikter, Territorialautonomie als Mittel des Minderheiten-schutzes<br />
und der Konfliktlösung in Europa – Zusammenfassung<br />
und schematischer Vergleich, http://www.gfbv.it/3dossier/eu-min/<br />
autonomy-de.html<br />
In diesem politischen Kontext können drei Muster der<br />
Errichtung von Regionalautonomien unterschieden<br />
werden. Zunächst, der „traditionelle“ Anlass <strong>für</strong><br />
Autonomie, nämlich jener, <strong>für</strong> ganz bestimmte Gebiete<br />
innerhalb von Einheitsstaaten (Moldawien, Ukraine,<br />
Portugal, Frankreich, Dänemark, Finnland, Serbien<br />
und Großbritannien) aufgrund ihrer besonderen<br />
ethnischen, geschichtlichen und kulturellen Eigenart<br />
eine Sonderstellung zu schaffen. Autonomie stellt hier<br />
die Ausnahmelösung dar, um kompakt siedelnden<br />
Minderheiten gerecht zu werden, während der Staat<br />
als Ganzes keinen Anlass <strong>für</strong> eine föderalistische oder<br />
regionalistische Transformation sieht.<br />
Ein zweites Muster ist jenes der Einrichtung von<br />
Autonomie auch in asymmetrischer Form <strong>für</strong> alle<br />
Regionen eines Regionalstaats wie dies in Spanien<br />
und Italien seit den 1970er Jahren erfolgt. Eine<br />
dritte Lösung ist die Schaffung mehrere Ebenen<br />
dezentralisierter Selbstregierung innerhalb von<br />
großen, ethnisch heterogenen Ländern (Russland,<br />
Indien, Kanada) in einer Form von asymmetrischem<br />
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