Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
Wahl eines Abgeordneten zum Europaparlament.<br />
Die gut ausgebaute Autonomie der Deutschsprachigen<br />
Gemeinschaft Belgiens ist erst im Rahmen der<br />
Umwandlung Belgiens vom Einheitsstaat in einen<br />
Bundesstaat zwischen 1973 und 1994 entstanden. Die<br />
ersten Bestimmungen zum Gebrauch der Amtssprache<br />
stammen aus den Jahren 1962/63, doch als solche<br />
ist die Deutschsprachige Gemeinschaft erst mit der<br />
1. Staatsreform 1973 eingerichtet worden. 1974<br />
wurde das erste Parlament der Deutschsprachigen<br />
Gemeinschaft Belgiens gewählt. Die zweite<br />
Staatsreform 1980-83 dehnte die Zuständigkeiten<br />
auf die personenbezogenen Dienstleistungen aus.<br />
Seitdem ist die Regional-versammlung auch befugt,<br />
die Regierung des deutsch-sprachigen Gebiets<br />
zu bilden. Mit der dritten Staatsreform wurde der<br />
Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens die volle<br />
Verantwortung über das Bildungswesen übertragen.<br />
Die 4. Staatsreform 1993-94, welche die Wahlen zum<br />
nationalen Parlament neu regelte, bescherte der<br />
deutschen Minderheit eine Vertretung im Senat.<br />
Gleichzeitig wurde auch die Autonomie der<br />
Deutschsprachige Gemeinschaft erweitert. Sie erhielt<br />
die Verantwortung <strong>für</strong> die Sozialhilfe, Denkmalpflege,<br />
Arbeitsmarkt-politik, Gemein-definanzen und<br />
Gemeindeaufsicht. 2001 wurde die Finanzierung<br />
der Deutschsprachigen Gemeinschaft grundlegend<br />
geändert.<br />
Heute verlangt die Deutschsprachige Gemeinschaft<br />
mehr Autonomie und strebt langfristig die<br />
Zuerkennung des Status einer Region innerhalb<br />
des Bundesstaats Belgien auf derselben Ebene mit<br />
Wallonien und Flandern an. Der langjährige Ministerpräsident<br />
der Deutschsprachigen Gemeinschaft,<br />
Karlheinz Lambertz, kündigte entsprechende<br />
Verhandlungen mit der französischsprachigen<br />
Gemeinschaft Wallonien an. Die Deutschsprachige<br />
Gemeinschaft fordert neue Zuständigkeiten im<br />
Bereich Raumordnung, in der Wohnbaupolitik, bei den<br />
öffentlichen Arbeiten und Infrastrukturen sowie in der<br />
Landwirtschaft. Diese Strategie ist Ende 2001 vom<br />
Rat der Deutschsprachigen Gemeinschaft einstimmig<br />
gutgeheißen worden, als u.a. beschlossen wurde, den<br />
Weg der Erweiterung der Autonomie Schritt <strong>für</strong> Schritt<br />
weiter zu beschreiten. Bis jetzt hat Wallonien die<br />
Forderungen der Deutschsprachigen Gemeinschaft<br />
Belgiens nach Einrichtung einer 4. Region neben<br />
Wallonien, Brüssel und Flandern abgelehnt und war<br />
auch auf die Erweiterung der autonomen Befugnisse<br />
kaum ansprechbar, da es langfristig Sezessionsbestrebungen<br />
be<strong>für</strong>chtet. Sollte die Deutschsprachige<br />
Gemeinschaft Belgiens den Status einer Region<br />
Belgiens erhalten, würde sie verfassungsrechtlich<br />
auf dieselbe Ebene der bestehenden drei Regionen<br />
gehoben. Sie wäre dann als konstitutive Einheit<br />
eines Bundesstaats einzustufen und nicht mehr als<br />
Territorialautonomie.<br />
Quellen<br />
Bruno de Witte, Regional autonomy, cultural diversity<br />
and European integration: the experience of Spain and<br />
Belgium, in: Ortino/Zagar/Mastny (eds.), The changing<br />
faces of federalism: institutional reconfiguration<br />
in Europe from East to West, Manchester 2004,<br />
auf: http://www.eurac.edu/Press/Publications/<br />
Monographs/0049635.htm<br />
http://www.dglive.be/: Offizielle Website der<br />
Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens<br />
Michael Keating, John Loughlin, Kris Deschouwer,<br />
Culture, Institutions and Economic Development<br />
– A Study of Eight European Regions, Elgar Publ.,<br />
Cheltenham 2003, S. 75-106<br />
Eine umfassendere Darstellung des belgischen<br />
Föderalsystems findet sich bei: Stroschein, S., “What<br />
Belgium can teach Bosnia”, Journal of Ethnopolitics<br />
and Minority Issues in Europe, Herbst 2003, unter:<br />
http://www.ecmi.de/jemie/download/Focus3-2003_<br />
Stroschein.pdf