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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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fehlt. 113 Gesetzgebungsbefugnisse einer gewählten<br />

Regionalversammlung sind eine notwendige, jedoch<br />

nicht hinreichende Bedingung <strong>für</strong> das Vorliegen einer<br />

Territorialautonomie. Die zweite Bedingung ist das<br />

Vorhandensein einer demokratisch legitimierten, von<br />

der Zentralregierung unabhängigen Exekutive, die zur<br />

Anwendung der autonomen Gesetze befugt ist. 114<br />

c) Demokratie und freie Wahlen<br />

Als ein Bestimmungskriterium <strong>für</strong> eine moderne<br />

Territorialautonomie wird Demokratie in der<br />

wissenschaftlichen Literatur nicht so allgemein<br />

akzeptiert, wie man eigentlich annehmen könnte. Hier<br />

gibt es verschiedene Ansätze: zum einen solche, die<br />

Territorialautonomie nur unter ganz formalrechtlichen<br />

Kriterien begutachten; andere hingegen stellen die<br />

substanzielle demokratische Qualität der Institutionen<br />

und Verfahren in den Vordergrund. Ersterer Ansatz<br />

geht davon aus, dass die Gesetzgebungshoheit sowohl<br />

im Zentralstaat als auch in der autonomen Einheit<br />

zwecks Ausübung von Autonomie auch von nicht<br />

demokratisch legitimierten Institutionen ausgeübt<br />

werden kann. Letzterer Ansatz konzentriert sich auf<br />

die substanzielle Selbstregierung der Bevölkerung<br />

eines bestimmten Gebietes. M.a.W.: keine echte<br />

Selbstregierung und Selbstgesetzgebung (Autonomie)<br />

findet statt, wenn die Bevölkerung des autonomen<br />

Gebiets ihre politischen Vertreter nicht frei wählen<br />

kann. Yash Ghai fügt dieser Argumentation an, dass<br />

offenkundig unter allen Autonomiearrangements in<br />

liberalen Demokratie, kommunistischen Staaten und<br />

Entwicklungsländern die erfolgreichsten Beispiele in<br />

den liberalen Demokratie zu finden sind. 115<br />

Dieses Kriterium ist von entscheidender Bedeutung<br />

<strong>für</strong> die Bestimmung „echter Territorialautonomie“,<br />

weil verschiedene Staaten ohne pluralistisches<br />

demokratisches System verschiedene Formen von<br />

Autonomie eingerichtet haben. In anderen Fällen sind<br />

solche Staaten zwar per Verfassung als parlamentarische<br />

Demokratien konstituiert, doch die demokratischen<br />

Wahlen entsprechen nicht international anerkannten<br />

113 Anna Gamper (2004), Die Regionen mit Gesetzgebungshoheit,<br />

Europ. Verlag der Wissenschaften, Frankfurt, S. 383<br />

114 Einige Autoren bemerken zu Recht, dass es Grauzonen zwischen<br />

reiner Verwaltungsautonomie und echter Territorialautonomie<br />

gibt. So verfügt z.B. Korsika über eine Regionalversammlung,<br />

die bei der Verabschiedung von Staatsgesetzen, die Korsika<br />

betreffen, gehört werden muss, doch haben die Beschlüsse dieser<br />

Versammlung keinen bindenden Charakter <strong>für</strong> Paris. Korsika<br />

kann somit keine eigenen Regionalgesetze verabschieden.<br />

115 Vgl. Yash Ghai (2000), S. 16<br />

2 Das Konzept der politischen Autonomie<br />

Standards. Somit ist festzuhalten, dass <strong>für</strong> das<br />

Vorhandensein eines modernen Autonomiesystems<br />

folgendes Bestimmungskriterium erfüllt sein muss:<br />

ein pluralistisches demokratisches System sowohl<br />

auf gesamtstaatlicher wie auf regionaler Ebene im<br />

Rahmen eines demokratischen Rechtsstaats und<br />

einer funktionierenden Demokratie einschließlich<br />

der bürgerlichen Freiheiten und demokratischen<br />

Grundrechte und fairen und freien Wahlen.<br />

Um die Erfüllung dieses Kriteriums zu beurteilen lässt<br />

sich auf die Erfassung demokratischer Standards<br />

durch internationale Organisationen (z.B. der<br />

Europarat) und anerkannter NROs verweisen (z.B.<br />

die Stiftung Freedomhouse 116 ). Diese Quelle lässt<br />

sich mit dem regelmäßig erfassten Demokratieindex<br />

des The Economist ergänzen und gegenprüfen. 117<br />

Der Economist teilt die Länder in vier Kategorien ein<br />

gemäß des bei diesem Index erzielten Ergebnisses:<br />

− echte Demokratien<br />

− “mangelhafte” Demokratien<br />

− Hybridregime<br />

− Autoritäre Regime<br />

Eine moderne Territorialautonomie kann es nur<br />

unter den Bedingungen einer funktionierenden<br />

oder zumindest “mangelhaften” Demokratie geben,<br />

während in Hybridregimen oder autoritären Staaten<br />

allenfalls “Autonomie-ähnliche Arrangements<br />

territorialer Gewaltenteilung” eingerichtet werden<br />

können. 118<br />

Das Kriterium der Demokratie ist nicht nur <strong>für</strong> ein<br />

normatives Konzept von politischer Autonomie von<br />

Bedeutung, sondern auch unter dem Aspekt der<br />

theoretischen Konsistenz des Begriffs Autonomie<br />

(autós: selbst; nomós: Gesetz): die legal im Gebiet der<br />

autonomen Region ansässigen Staatsbürger müssen<br />

die souveränen Subjekte der regionalen Demokratie<br />

sein. Sie müssen das Recht haben, ihre Vertreter in<br />

den legislativen und exekutiven Institutionen der<br />

Territorialautonomie frei zu wählen. In autoritären<br />

116 Vgl. die Berichte von Freedomhouse über die Lage und<br />

Entwicklung der Demokratie in allen Ländern unter: http://<br />

www.freedomhouse.org . Diese NRO erstellt einen Index<br />

von 1 bis 7, wobei 1 dem höchstmöglichen Standard an Demokratie<br />

und 7 dem niedrigsten Standard gleichkommt. Die<br />

Bewertung beruht auf Untersuchungen in allen Ländern.<br />

117 Dieser Index bezieht sich auf den Stand der Demokratie in 167<br />

Ländern, während vor allem die Kleinststaaten nicht berücksichtigt<br />

werden. Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Democracy_Index<br />

118 Gemäß dieses Demokratie-Index gelten folgende Staaten, die<br />

auch substaatliche Einheiten mit Territorialautonomie eingerichtet<br />

haben, als autoritären Regime: Aserbaidschan, China, Sudan,<br />

Tadschikistan und Usbekistan. Tanzania und Russland werden dagegen<br />

als „Hybridregime“ eingestuft.<br />

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