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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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208<br />

<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

Reservate in Australien?<br />

In Australien wurden 1994 303.261 Ureinwohner<br />

(Aborigines und Torres Strait Islanders) gezählt (1,5%<br />

der Gesamtbevölkerung Australiens), wovon 66%<br />

in Städten leben. Im Unterschied zu den Aborigines<br />

bilden die rund 10.000 Torres Strait Islanders eine<br />

homogene ethnische Gemeinschaft, die eine Gruppe<br />

von 20 Inseln in der Torres Strait Meerenge bewohnt.<br />

Sie leben primär vom Fischfang. 1989 wurde gemäß<br />

des „Aboriginal and Torres Strait Islands Commission<br />

Act“ (ATSCA) die Aboriginal and Torres Strait Islanders<br />

Commission (ATSIC) ins Leben gerufen, um die<br />

Mitwirkung beider Gruppen an der Formulierung und<br />

Umsetzung von Regierungsmaßnahmen zur Stärkung<br />

der Selbstverwaltung, der Eigenständigkeit und zur<br />

kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen Entwicklung zu<br />

regeln. Dabei wurde keine getrennte Kommission <strong>für</strong><br />

die Torres Strait Islanders eingerichtet. Mit diesem<br />

Gesetz hat Australien seine indigene Bevölkerung als<br />

ein getrenntes, kollektives Rechtsobjekt anerkannt,<br />

das ein Recht auf Selbstverwaltung hat. Obwohl die<br />

erstmals 1996 zusammengetretene ATSIC aus 17<br />

Kommissaren besteht, werden beide Vorsitzenden<br />

von der Bundesregierung gewählt. Deshalb erfüllt<br />

die ATSIC eher die Aufgabe eines beratenden Organs<br />

denn eines Selbstverwaltungsorgans. Die Torres Strait<br />

Islanders sind weder im Parlament von Queensland<br />

noch im Bundesparlament vertreten. Obwohl der<br />

gewählte Regionalrat von Torres Strait einige begrenzte<br />

Kompetenzen hat (keine Gesetzgebung), gibt es<br />

dabei kein Konzept <strong>für</strong> ein Reservat nach US-Muster,<br />

geschweige denn <strong>für</strong> Territorial-autonomie, die jetzt<br />

aber gefordert wird. 317<br />

4.3.4 Reservate in<br />

Lateinamerika<br />

Lateinamerikas indigene <strong>Völker</strong> und<br />

Territorialautonomie<br />

Inmitten der Vielfalt an Auffassungen und Definitionen<br />

von Autonomie in der Welt der indigenen <strong>Völker</strong><br />

Lateinamerikas sind zwei Grundansätze zu<br />

beobachten: der erste wird ziemlich treffsicher von<br />

Gonzales umschrieben, einem indianischen Mitglied<br />

des Parlaments von Venezuela: 318<br />

317 Weitere Informationen dazu in: Int. Committee of Lawyers for<br />

Tibet, op- cit., 1999, S. 578-600<br />

318 Zitiert nach Heidi Feldt, Indigene <strong>Völker</strong> und Staat, in: GTZ-<br />

Reader Indigene <strong>Völker</strong> in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit,<br />

2004, S. 52 unter: http://www2.gtz.de/indigenas/deutsch/<br />

“Die Autonomie indigener <strong>Völker</strong> muss als das Recht<br />

jener <strong>Völker</strong> betrachtet werden, frei über ihre inneren<br />

Angelegenheiten zu entscheiden, über ihre soziale,<br />

wirtschaftliche, politische und kulturelle Organisation<br />

und über die Führung, Kontrolle und den Besitz<br />

ihres Landes. Eine wesentliche Bedingung <strong>für</strong> die<br />

Verwirklichung dieses Konzepts ist die Anerkennung<br />

dieser <strong>Völker</strong> in der Verfassung ihrer Staaten, ohne<br />

dass die Einheit und Unteilbarkeit dieser Republiken<br />

in Frage gestellt würde. Ausgehend von diesen<br />

Voraussetzungen kann das Konzept der Autonomie<br />

innerhalb von Nationalstaaten angewandt werden“.<br />

Somit wird indigene Autonomie durch die Festlegung<br />

eines klar abgegrenzten Territoriums, durch die<br />

Anerkennung eines indigenen Volkes und seines Rechtes<br />

auf interne Selbstbestimmung in diesem Rahmen<br />

konkretisiert, wobei allgemeine Staatsfunktionen wie<br />

Verteidigungs- und Außenpolitik nicht berührt werden.<br />

Die Grundvoraussetzung liegt in einem abgrenzbaren<br />

Gebiet, das ausschließlich oder überwiegend von<br />

einem indigenen Volk bewohnt wird. Dieses Konzept<br />

scheint in einigen mittelamerikanischen Ländern, im<br />

Amazonas-Tiefland und im Chaco anwendbar zu sein,<br />

nicht jedoch in weiten Teilen der Anden, wo es bisher<br />

auch kaum indianische Reservate gibt. 319<br />

Roldan hingegen erweitert das Konzept der Autonomie<br />

zur Idee der Selbstverwaltung im Rahmen der<br />

bestehenden Territorialeinheiten wie Kommunen,<br />

Provinzen, Regionen innerhalb der Grenzen der<br />

bestehenden Staaten, wobei über Rechtsnormen<br />

und Selbstverwaltung die internen Interessen<br />

des indigenen Volks und der lokalen Bevölkerung<br />

wahrgenommen werden können. 320 Dies sollte <strong>für</strong><br />

ein Volk die Möglichkeit implizieren, unabhängig und<br />

selbstbestimmt zu leben, ohne auf die internationale<br />

Politik eines Staates Einfluss nehmen zu müssen.<br />

service/reader.html ; zu den Rechtsgrundlagen von Reservationen<br />

vgl. Natalia Loukacheva, Autonomy and Law, Toronto 2006, zu<br />

finden auf: http://www.globalautonomy.ca/global1/article.<br />

jsp?index=RA_Loukacheva_AutonomyLaw.xml<br />

319 Neben den legal errichteten und anerkannten autonomen Regionen<br />

gibt es auch “ganz autonom” ins Leben gerufene <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

wie z.B. jene der zapatistischen Gemeinschaften in Mexiko<br />

(die Regiones Autonomas Plurietnicas in Chiapas, vgl. http://www.<br />

ezln.org and http://www.ezlnaldf.org and http://www.utexas.edu<br />

und Gonzalez, Miguel, Territorial Autonomy in Mesoamerica: With<br />

or Without State Consent. The case of the Zapatista Autonomous<br />

Territories in Chiapas, Mexico, and of the Autonomous Regions in<br />

Nicaragua”, paper for the Workshop on Social Movements & Globalisation:<br />

resistance or Engagement, University Consortium on the<br />

Global South, Toronto York University 2004. Vgl. Auch weiter unten<br />

die Box “Die caracoles in Chiapas”.<br />

320 Zitiert von Heidi Feldt (2004), S.53

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