06.11.2013 Aufrufe

Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

nationalen Parlamentswahlen 2001 hatte diese Partei<br />

nämlich erklärt<br />

- die Autonomie Gagausiens in der Verfassung<br />

verankern zu wollen;<br />

- die Mitsprache Gagausiens auf allen<br />

Regierungsebenen zu gewährleisten;<br />

- die Aufteilung der Befugnisse zwischen Comrat<br />

und Chisinau zu klären;<br />

- die gagausische Sprache besser zu schützen;<br />

- Russisch zur zweiten Staatssprache zu<br />

erklären;<br />

- eine friedliche Lösung des Transnistrien-<br />

Konflikts herbeizuführen.<br />

Aufgrund dieser Versprechungen erhielten die<br />

Kommunisten in Gagausien 80,57% der Stimmen<br />

und die Mehrheit der Sitze im Parlament Moldawiens.<br />

Die neue Regierung schien diese Programmpunkte<br />

jedoch schnell vergessen zu haben. Die <strong>für</strong> aktuelle<br />

Autonomieprobleme zuständige Gagausisch-<br />

Moldawische Kommission (19 Mitglieder) konnte den<br />

Konflikt nicht lösen. So traten ihre gagausischen<br />

Mitglieder zurück. Auf dem Hintergrund steigender<br />

Spannungen mit Transnistrien und einer territorialen<br />

Neuordnung Moldawiens in Form von Distrikten, was<br />

als Verletzung der Autonomie Gagausiens betrachtet<br />

wurde, drohten ernsthafte Rückschläge im gesamten<br />

Autonomieprozess. Dank der Vermittlung des<br />

OSZE-Hochkommissars <strong>für</strong> nationale Minderheiten<br />

konnte 2002 eine Eskalation der Konflikts verhindert<br />

werden, doch setzte die kommunistisch geführte<br />

Zentralregierung die Ablösung und Ersetzung<br />

des gagausischen bashkan durch ein Mitglied der<br />

Kommunistischen Partei durch.<br />

ausgelöst. Trotz einiger Streitigkeiten betrachten<br />

die wichtigsten politischen Kräfte Moldawiens die<br />

Autonomie Gagausiens als einen Erfolg. Sie wird auch<br />

von der Mehrheit der nicht-gagausischen Bevölkerung<br />

Gagausiens nicht in Frage gestellt. Während außerhalb<br />

der autonomen Region gemäß den moldawischen<br />

Sprachengesetzen die Beherrschung des moldawischen<br />

Rumänisch Grundvoraussetzung <strong>für</strong> den Zugang zu<br />

allen höheren Stellen in Politik, Medien, Unternehmen<br />

und Verwaltung ist, ist Gagausien dreisprachig.<br />

Der Fall Gagausien bestätigt die These, dass jede<br />

Autonomielösung auf die besonderen Verhältnisse<br />

und interethnischen Beziehun-gen in einer Region<br />

zugeschnitten sein muss.<br />

Die gagausische Autonomie ist <strong>für</strong> Mittel- und<br />

Osteuropa deshalb von besonderer Bedeutung,<br />

weil sich in den postkommunistischen Ländern<br />

nach 1990 starke nationalistische Tendenzen<br />

bemerkbar gemacht haben. Spielte schon zuvor der<br />

Minderheitenschutz eine nachrangige Rolle, führten<br />

neue Assimilationstendenzen zu neuen Spannungen.<br />

Zahlreiche ethnische Minderheiten fühlen sich bedroht<br />

und immer mehr als Bürger zweiter Klasse behandelt.<br />

Manchmal werden sie sogar als Sündenböcke <strong>für</strong><br />

soziale und kulturelle Rückständigkeit betrachtet.<br />

Als gleichrangige Partner werden sie von den<br />

Zentralstaaten nur im Ausnahmefall anerkannt,<br />

während Autonomieforderungen in der Regel als<br />

Angriff auf die staatliche Einheit aufgefasst werden.<br />

Gagausien hingegen stellt ein Beispiel <strong>für</strong> eine<br />

funktionierende Autonomie und den Schutz kollektiver<br />

Minderheitenrechte dar, zum ersten Mal in Osteuropa<br />

seit dem Fall des Kommunismus.<br />

126<br />

Die Zukunftsperspektiven <strong>für</strong> die Autonomie<br />

Gagausiens hängt in beträchtlichem Maß davon ab,<br />

wie Chisinau und Comrat Kompetenz-streitigkeiten<br />

bereinigen können. Gagausien drängt jedenfalls<br />

auf rechtliche Garantien <strong>für</strong> die Anwendung und<br />

Weiterentwicklung des Autonomiegesetzes.<br />

3.7.4 Schlussfolgerungen<br />

Welche Auswirkungen hatte die Autonomie? Hat<br />

Gagausien mit dieser Autonomie einen Präzedenzfall<br />

<strong>für</strong> ganz Osteuropa geschaffen, wo die meisten<br />

Regierungen Territorial-autonomie <strong>für</strong> nationale<br />

Minderheiten ablehnen? Nein, das Beispiel Gagausien<br />

hat mit Ausnahme der bulgarischen Minderheit in<br />

Moldawiens Südwesten bisher keinen Dominoeffekt in<br />

Form von Autonomie-forderungen anderer Landesteile<br />

Als Moldawiens Präsident Voronni Gagausien am<br />

19. November 2005 besuchte, bezeichnete er<br />

diese Autonomie als ein „europäisches Modell wie<br />

Konflikte in Gebieten mit nationalen Minderheiten<br />

friedlich gelöst werden können“. Dieses Modell könne<br />

auch in Transnistrien angewandt werden. Doch<br />

Tiraspol lehnt jede „asymmetrische Föderation“ ab<br />

und verlangt, dass eine mögliche Föderation auf<br />

gleichberechtigter Partnerschaft gründen müsse.<br />

Im Fall der beiden in Osteuropa in den 90er Jahren<br />

eingerichteten Autonomien – Gagausien und die<br />

Krim in der benachbarten Ukraine – müssen die<br />

besonderen Umstände der Transformation eines<br />

vorher kommunistischen in einen demokratischen<br />

Staat berücksichtigt werden. 206 Diese Staaten müssen<br />

206 Stephan Troebst, From “Gagauz Halki” to “Gagauz Yeri”,<br />

The movement for autonomy of the Gagauz in Moldova 1988-1998<br />

in ETHNOS-Nation 7 (1999), S. 41-54

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!