Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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In den ersten Jahren des sog. Commonwealth-Status<br />
konnte Puerto Ricos Wirtschaft etwa bis 1974 große<br />
Fortschritte verzeichnen. Aufgrund der verschiedenen<br />
Begünstigungen nahmen Investitionen aus den USA<br />
in Industrieunternehmen zu. Auf Puerto Rico galt<br />
nämlich die Befreiung von der US-Einkommenssteuer,<br />
eine Ausnahmeregelung bei den Mindestlöhnen und<br />
freier Zugang zum amerikanischen Markt. Zahlreiche<br />
US-Unternehmen ließen sich auf der Insel nieder<br />
und schufen neue Arbeitsplätze. Später nahm die<br />
Wirkung dieser Vergünstigungen ab. Waren zunächst<br />
arbeitsintensive Industriefertigung (Leder, Textil,<br />
Bekleidung) angezogen worden, verlagerten sich seit<br />
den 70er Jahren die Investitionen in kapitalintensive<br />
Industrie-zweige. Die erhebliche Arbeitslosigkeit<br />
wurde dadurch kaum gelindert und die Puertoricaner<br />
emigrierten weiterhin in die USA.<br />
Nach 1974 wurden die Vergünstigungen <strong>für</strong> Puerto Rico<br />
nach und nach abgebaut. Die allgemeine Reduzierung<br />
der Zölle verminderte zudem den komparativen<br />
Kostenvorteil der puertoricanischen Produkte auf den<br />
US-Märkten. Die Mindestlöhne wurden jenen der USA<br />
angeglichen, ebenso wie die Umweltschutzstandards.<br />
Die Reduzierung der Körperschaftssteuern durch<br />
verschiedene republikanisch geführte US-Regierungen<br />
ließen Puerto Ricos Attraktivität schrumpfen und<br />
später erweiterte die „Caribbean Basin Initiative“<br />
und die NAFTA den Kreis der Länder mit zollfreiem<br />
Handel mit den USA. Immer mehr Inselbewohner<br />
wurden in der Folge abhängig von Sozialleistungen<br />
und Zuschüssen der US-Bundesregierung. Während<br />
die ersten Jahrzehnte somit Puerto Rico enorme<br />
wirtschaftliche Impulse verliehen hatten, war dieses<br />
kleine Wirtschaftswunder nicht von Dauer. Dies führte<br />
zu neuen Wellen der Auswanderung in die USA.<br />
4.2.4 Jüngste Entwicklungen<br />
Viele Puertoricaner empfinden heute die politischen<br />
Beteiligungsrechte als zu beschränkt. Seit 1917 sind<br />
sie US-Staatsbürger, dürfen jedoch weder an Wahlen<br />
zum US-Kongress noch an der US-Präsidentenwahl<br />
teilnehmen. Der gewählte „resident commissioner“<br />
vertritt Puerto Rico beim US-Repräsentantenhaus.<br />
Er ist Mitglied verschiedenster Kommissionen und<br />
kann Gesetzesinitiativen vorschlagen, hat aber kein<br />
Stimmrecht. Beim US-Senat ist Puerto Rico überhaupt<br />
nicht vertreten. In die USA dürfen Puertoricaner frei<br />
einreisen und genießen dort alle politischen Rechte,<br />
also auch das aktive und passive Wahlrecht.<br />
4 Besondere Formen von Autonomie<br />
Von 1944 bis 1968 hielt der Partido Popular Democratico<br />
(PPD) die absolute Mehrheit in beiden Kammern des<br />
Parlaments. 1967 wurde ein Referendum über den<br />
politischen Status Puerto Ricos abgehalten, wobei<br />
60% <strong>für</strong> die Beibehaltung der freien Assoziation und<br />
40% <strong>für</strong> die volle Integration in die USA stimmten. In<br />
der Folge spaltete sich der Partido Nuevo Progresista<br />
(PNP) von der PPD ab, der <strong>für</strong> die Umwandlung in einen<br />
US-Bundesstaat eintrat. Der PNP errang sowohl den<br />
Gouverneursposten als auch die Mehrheit im Parlament.<br />
In den 70er und 80er Jahren wechselten sich PPD und<br />
PNP in der Regierung und Parlamentsmehrheit ab.<br />
Die Präsidentschaftskampagne 1988 stand wiederum<br />
ganz im Zeichen der Frage des zukünftigen politischen<br />
Status der Insel innerhalb der USA. Die PDP blieb ihrer<br />
traditionellen Position treu, die lautete: „Größtmögliche<br />
Autonomie in einer dauerhaften Union mit den USA“.<br />
Die PNP hingegen trat mit Unterstützung von George<br />
Bush senior <strong>für</strong> die Aufnahme Puerto Ricos in die USA<br />
als 51. Bundesstaat ein. Die PDP siegte mit einem<br />
Vorsprung von eben 3%. Im Referendum von 1993<br />
spiegelten sich dieselben Mehrheitsverhältnisse: 48,4%<br />
der Puertoricaner stimmten <strong>für</strong> die Beibehaltung des<br />
Commonwealth-Status, 46,2% <strong>für</strong> einen Bundesstaat<br />
und 4,4% <strong>für</strong> die Unabhängigkeit.<br />
Die puertoricanische Unabhängigkeitsbewegung<br />
hat dagegen nie besonderen Rückhalt in der<br />
Bevölkerung gewonnen. Politisch wird sie vom Partido<br />
Independentista Puertoriquerro (PIP) vertreten,<br />
während ab und zu auch außerparlamentarische<br />
Gruppen, wie der Ejercito Popular Boricua (Macheteros)<br />
und die Fuerzas Armadas de Liberacion Nacional<br />
(FALN) mit Gewaltakten in Erscheinung treten.<br />
Somit hat Puerto Rico eine längere Tradition politischer<br />
Autonomie, die seit 1952 die Form assoziierter<br />
Staatlichkeit angenommen hat. Die Insel kann auf<br />
ein hohes Maß innerer Selbstregierung blicken, das<br />
mit mancher wirtschaftlicher Vorzugs-behandlung<br />
innerhalb der USA verbunden war. Andererseits sind<br />
die puertoricanischen US-Staatsbürger politisch<br />
gesehen nicht gleichberechtigt. Puerto Rico ist<br />
zwischen zwei Tendenzen hin- und hergerissen:<br />
einerseits dem Wunsch, seine kulturelle Eigenart<br />
und die ökonomischen Vorteile des Commonwealth-<br />
Status beizubehalten, andererseits dem Wunsch, im<br />
Rahmen der USA politisch gleichberechtigt zu sein.<br />
Die Be<strong>für</strong>worter der Unabhängigkeit sehen nur in der<br />
vollen Staatlichkeit Puerto Rico die volle Garantie <strong>für</strong><br />
die Erhaltung seiner Identität, dem wirtschaftliche<br />
Vorteile geopfert werden müssten. Die Be<strong>für</strong>worter<br />
der Umwandlung in einen US-Bundesstaat sind<br />
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