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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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<strong>für</strong> die Anerkennung von ethnischen und nationalen<br />

Minderheiten und <strong>für</strong> die Förderung ihrer kollektiven<br />

Identität. Andererseits konnten diese allgemeinen<br />

Rechtsnormen auf staatlicher und regionaler Ebene<br />

ein bestimmtes Bedürfnis nationaler Minderheit nicht<br />

erfüllen: sich im eigenen Siedlungsgebiet selbst zu<br />

regieren.<br />

Es kann nicht geleugnet werden, dass die Frage der<br />

Identität ethnischer Gruppen eng verknüpft ist jenem<br />

Territorium, das seit Urzeiten von diesen als einer<br />

homogenen Gruppe bewohnt worden ist. Ohne den<br />

Aspekt der Kulturautonomie (oder Personenautonomie)<br />

zu berühren, kann der Schutz einer Minderheit am besten<br />

in einem abgegrenzten geographisch-kulturellen Raum<br />

erfolgen. Im Unterschied zu den „neuen Minderheiten“<br />

der Migranten, die verstreut über das Gastland leben,<br />

ist der Schutz von autochthonen Minderheiten eng<br />

geknüpft an die geographische Region, die von einer<br />

Gruppe mit einer verschiedenen kulturellen Identität<br />

bewohnt wird. Im Zuge der Geschichte wurde diese<br />

Region Teil eines Staates mit einer anderen ethnischen<br />

(oder auch religiösen) Mehrheit, woraus überhaupt erst<br />

die Notwendigkeit territorialer Autonomie erwuchs.<br />

Doch keine internationale Konvention erkennt<br />

ethnischen oder nationalen Minderheiten ein solches<br />

„Recht auf Autonomie“ oder ein „Recht auf interne<br />

Selbstbestimmung“ zu. Verschiedene Anläufe, eine<br />

Charta der Rechte indigener <strong>Völker</strong> innerhalb der VN zu<br />

verabschieden, scheiterten an der Ablehnung einiger<br />

Staaten. Im Gegenteil: viele Staaten betrachten<br />

politische Autonomie als ersten Schritt in Richtung<br />

externe Selbstbestimmung mit nachfolgender<br />

Sezession. Historische Erfahrungen in Europa haben<br />

bewiesen, dass Autonomie als Instrument der<br />

Konfliktlösung taugt und Sezession eher verhindert.<br />

Mit anderen Worten: nicht die Gewährung, sondern<br />

die Vorenthaltung von Autonomie hat die kritische<br />

Eskalation von Minderheitenkonflikten mit zahlreichen<br />

bewaffneten Widerstand (Baskenland, Nordirland,<br />

Chittagong Hill Tracts, Bougainville, Aceh, Südsudan,<br />

Atlantikregion Nicaraguas, Korsika, Neukaledonien,<br />

Mindanao, Jammu und Kaschmir) im vergangenen<br />

Jahrhundert heraufbeschworen und Forderungen nach<br />

Unabhängigkeit geschürt (Albaner in Kosovo, Russen in<br />

Transnistrien, Abchasen und Südosseten in Georgien,<br />

Türken auf Zypern, Moros auf Mindanao, Kaschmiri<br />

in Kaschmir usw.). In Ermangelung eines solchen<br />

Rechts auf Autonomie oder einer „Pflicht der Staaten,<br />

nationalen Minderheiten Autonomie zu gewähren“,<br />

auf welche Rechtsgrundlagen kann sich die Forderung<br />

nach Autonomie stützen?<br />

2 Das Konzept der politischen Autonomie<br />

2.4.2 Rechtsgrundlagen <strong>für</strong> Autonomie<br />

im <strong>Völker</strong>recht<br />

Aus der historischen Entwicklung der heutigen<br />

Territorialautonomie treten bestimmte Formen der<br />

Legitimation <strong>für</strong> die Errichtung von <strong>Autonomiesysteme</strong>n<br />

klar hervor. 58 Rechtsnormen sind zunächst <strong>für</strong> die<br />

Begründung und Durchführung einer Autonomielösung<br />

von Bedeutung, später auch als legaler<br />

Schutzmechanismus, der aufgrund nationalem oder<br />

internationalem Recht den betroffenen Minderheiten<br />

zur Anwendung einer vereinbarten Autonomie verhilft.<br />

Die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit,<br />

Autonomie zu gewähren oder sie zu beschränken, kann<br />

bei den Verhandlungen eine wesentliche Rolle spielen<br />

und die Verhandlungsposition der nationalen Minderheit<br />

stärken, vor allem wenn eine Vermittlung durch<br />

Drittmächte gewährleistet ist. In relativ wenigen Fällen<br />

ist Autonomie aufgrund eines bilateralen Abkommens<br />

zwischen Staaten (z.B. die Autonomie Südtirols durch<br />

den 1946 unterzeichneten Pariser Vertrag) oder durch<br />

die Entscheidung einer internationalen Organisation<br />

zustande gekommen (Eritreas Autonomie durch<br />

die VN 1952, die <strong>Völker</strong>bund-Entscheidung <strong>für</strong> die<br />

Autonomie der Åland-Inseln 1920). Üblicherweise<br />

wird bei Autonomie-forderungen auf drei wichtige<br />

Quellen des <strong>Völker</strong>rechts Bezug genommen: die<br />

Minderheitenrechte, die Rechte indigener <strong>Völker</strong> und<br />

– in eher kontroverser Form – das Recht der <strong>Völker</strong> auf<br />

Selbstbestimmung. 59<br />

a) Minderheitenrechte 60<br />

Seit ihrer Gründung haben sich die Vereinten<br />

Nationen (VN) in der Entwicklung eines umfassenden<br />

Menschenrechtssystems auf die Betonung der<br />

individuellen Rechte verlegt und es meist sorgfältig<br />

vermieden, kollektive Rechte Gruppen zuzuerkennen,<br />

vor allem keine politischen Rechte. Artikel 27 der<br />

58 Ein kurzer, aber höchst scharfsinniger Essay zu diesem Thema<br />

stammt von Natalia Loukacheva (Toronto 2006), Autonomy and Law,<br />

http://www.globalautonomy.ca/global1/article.jsp?index=RA_Loukacheva_AutonomyLaw.xml<br />

59 Eine umfassende Reflexion zu diesem Thema stammt von Joseph<br />

Marko, Autonomie und Integration, Rechtsinstitute des Nationalitätenrechts<br />

im funktionalen Vergleich, Böhlau Wien 1995;<br />

insbesondere: Autonomie: zur faktischen Existenz von Gruppen als<br />

Voraussetzung individueller Grundrechtsgewährleistung, S. 262-<br />

296; außerdem bemerkenswert die „Allg. Erklärung der kollektiven<br />

<strong>Völker</strong>rechte“ in: www.ciemen.org/pdf/ang.PDF:<br />

60 Die umfassendste aktuelle Darstellung zu diesem Bereich<br />

findet sich in: Christoph Pan/Beate S. Pfeil, Minderheitenrechte<br />

in Europa, Handbuch der europäischen Volksgruppen, Band 2,<br />

2. überarbeitete Auflage, Springer-Verlag Wien New York, 2006<br />

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