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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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Seit Ende 1947 lebt die Bevölkerung von Gilgit-<br />

Baltistan (offiziell F.A.N.A. genannt) in einer Art<br />

rechtlichem Schwebezustand, da es weder formell Teil<br />

Pakistans ist, noch irgendeine institutionalisierte Form<br />

der Selbstregierung erhalten hat. Im Unterschied zu<br />

AJK, das eine Art Freistaat (Sonderregion) mit eigener<br />

Verfassung, Parlament, Regierung und Verfassungsrecht<br />

erhielt, wird Gilgit-Baltistan seit 64 Jahren wie ein<br />

“Abhängiges Gebiet oder Treuhandgebiet verwaltet.<br />

Die Regierung in Islamabad ist der Auffassung, dass<br />

bei noch ungelöstem völkerrechtlichen Streit um<br />

Kaschmir, diesem früheren Teil des Fürstenstaats<br />

Jammu und Kaschmir kein definitiver Sonderstatus<br />

innerhalb Pakistans gewährt werden könne. Diese<br />

Position verletzt nicht nur die politischen Grundrechte<br />

der Bevölkerung von Gilgit-Baltistan, sondern ist auch<br />

in zweifachem Sinn widersprüchlich: zum ersten hat der<br />

andere, von Pakistan besetzte frühere Teil von Jammu<br />

und Kaschmir sofort 1947 einen genau definierten<br />

Status als “Freistaat” mit eigenen “demokratisch”<br />

gewählten Institutionen erhalten; zum anderen ist<br />

Gilgit-Baltistan ethnisch-kulturell gesehen gar kein<br />

Teil von Jammu und Kaschmir, sondern nur Opfer der<br />

expansionistischen Politik des früheren Fürstenstaats<br />

von Jammu und Kaschmir, der diese abgelegene<br />

Region unter Duldung der britischen Kolonialherren im<br />

19. Jahrhundert kolonisieren konnte.<br />

Der Chefgouverneur von Gilgit-Baltistan wird von der<br />

pakistanischen Regierung ernannt und residiert in<br />

Islamabad. Sein Stellvertreter wird vom “Northern Areas<br />

Legislative Council” (NALC) gewählt, die jedoch über<br />

kein echten legislativen oder exekutiven Kompetenzen<br />

verfügt. Seit 1994 werden die 24 männlichen Mitglieder<br />

dieses Rats zwar direkt von der Bevölkerung gewählt,<br />

während die sechs weiblichen Mitglieder von den 24<br />

gewählten Männern nachträglich ernannt bzw. kooptiert<br />

werden. Seit 1994 bildet das “Legal Framework<br />

Order” die rechtliche Grundlage <strong>für</strong> die Verwaltung<br />

von Gilgit-Baltistan, das die wenigen Zuständigkeiten<br />

dieses Pseudo-Landtags auflistet. Jeder einzelne<br />

Rechtsakt muss jedenfalls zwecks Inkrafttreten vom<br />

Ministerium <strong>für</strong> Kaschmirangelegenheiten in Islamabad<br />

gegengezeichnet werden. Dieses Ministerium hat auch<br />

alle finanziellen Angelegenheiten Gilgit-Baltistans in<br />

der Hand.<br />

Wie die unabhängige Menschenrechtskommission<br />

Pakistans nach seiner Mission 2005 befand, will die<br />

Mehrheit der Bevölkerung von Gilgit-Baltistan, dass<br />

ihr Gebiet als 5. Provinz definitiv verfassungsrechtlich<br />

verankerter Teil Pakistans wird. Wenn dies rechtlich<br />

nicht möglich wäre, verlange die betroffene<br />

4 Besondere Formen von Autonomie<br />

Bevölkerung denselben Autonomiestatus (Freistaat)<br />

wie Azad Jammu und Kaschmir, mit folgender<br />

Mindestausstattung:<br />

4. der Chef der Exekutive von Gilgit-Baltistan<br />

soll vom NALC gewählt und nur diesem<br />

verantwortlich sein;<br />

5. der Legislativrat NALC soll tatsächliche<br />

Gesetzgebungshoheit erhalten;<br />

6. der Chef der Exekutive sollte in Gilgit residieren<br />

und die regionalen Gesetze autonom umsetzen<br />

können, also volle Regierungsgewalt in den<br />

Zuständigkeiten des Freistaats ausüben<br />

können;<br />

7. alle nicht im Zuständigkeitsbereich der NALC<br />

liegenden Kompetenzen sollten durch das<br />

allgemeine Bundesgesetz Pakistans geregelt<br />

werden;<br />

8. eine autonome Justiz und voller Schutz der<br />

Menschenrechte sollte gewährleistet werden.<br />

Die Justiz müsse gegenüber der zentralen<br />

exekutive volle Unabhängigkeit erhalten.<br />

4.6.3 Weitere “Autonomie-ähnliche<br />

Arrangements territorialer<br />

Gewaltenteilung”<br />

Abgesehen von den oben kurz erläuterten Formen<br />

regionaler Selbstregierung in Südasien, gibt es<br />

verschiedene Staaten in allen Kontinenten, die ähnliche<br />

Arrangements eingerichtet haben, die manchmal<br />

auch offiziell als “autonome Regionen” bezeichnet<br />

werden. An dieser Stelle wurden einige wenige<br />

solcher Fälle aufgeführt, auch um von Neuem die<br />

Notwendigkeit zu unterstreichen, zwischen moderner<br />

Territorialautonomie (unter Erfüllung der in 2.10<br />

genannten Bestimmungskriterien) und andern Formen<br />

territorialer Gewaltenteilung gut zu unterscheiden, die<br />

eines oder mehrere dieser Kriterien nicht erfüllen. In<br />

demokratischen Staaten bezieht sich dieses Defizit<br />

meist auf die fehlende Übertagung legislativer<br />

Kompetenzen, also von Gesetzgebungshoheit, an<br />

eine frei gewählte Regionalversammlung. In nichtdemokratischen<br />

Staaten hingegen geht es um das<br />

Fehlen demokratischer Institutionen und Verfahren<br />

sowohl auf zentralstaatlicher wie auf regionaler<br />

Ebene.<br />

São Tomé und Príncipe<br />

Der afrikanische Inselstaat São Tomé und Príncipe<br />

ist in sieben Bezirke gegliedert, sechs davon auf der<br />

größeren Insel São Tomé, und einer, der die gesamte<br />

kleinere Insel Principe umfasst und als Autonome<br />

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