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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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272<br />

<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

Garantien abgegeben werden. Bei Errichtung einer<br />

Autonomie hat der betroffene Staat ein Interesse,<br />

von weiteren Forderungen nach Selbstbestimmung<br />

und Schritten zur Sezession verschont zu bleiben,<br />

solange Autonomie in ihrer Substanz gewahrt wird.<br />

Andererseits muss sich die betroffene Minderheit<br />

mit geltenden <strong>Völker</strong>rechtsnormen davor schützen<br />

können, dass wechselnde Mehrheiten auf staatlicher<br />

Ebene die Ecksteine des Autonomiesystems<br />

antasten. Der Stabilität und des Friedens willen,<br />

verzichten beide Parteien auf einen Teil ihrer<br />

„traditionellen Souveränität“: die Minderheit wird mit<br />

Territorialautonomie zufrieden gestellt, während der<br />

Staat sich internationaler Beobachtung hinsichtlich<br />

der Einhaltung der Autonomierechte nationaler<br />

Minderheiten unterwirft. Diese Bestimmung hat<br />

grundlegende Bedeutung im Aufbau des nötigen<br />

Vertrauens zwischen den Konfliktparteien. Wenn diese<br />

sich auf das rechtliche Rahmenwerk einer solchen<br />

„Konvention über das Recht auf Autonomie“ berufen<br />

könnten, wäre sowohl die staatliche Souveränität als<br />

auch die Autonomie als Anwendungsform interner<br />

Selbstbestimmung völkerrechtlich garantiert. 401 .<br />

Im <strong>Völker</strong>recht gibt es allerdings kein irgendwie<br />

kodifiziertes Recht auf Autonomie, während auf der<br />

Ebene des Verfassungsrechts allein Spanien ein solches<br />

Recht auf Autonomie festgeschrieben hat. Die gängige<br />

Form der Einrichtung von Territorialautonomien sind<br />

ad-hoc-Regelungen unter Druck von harten, manchmal<br />

gewaltsamen Auseinandersetzungen. In diesen<br />

Prozessen und auch in der allgemeinen politischen<br />

Debatte um Autonomie ist Autonomie nach ihrem<br />

Konzept und Inhalt stark von Flexibilität, wenn nicht<br />

gar Mehrdeutigkeit geprägt. Die wachsende Zahl von<br />

Autonomien, die es nun in mindestens 22 Staaten der<br />

Erde gibt, können ein klareres Profil dessen vermitteln,<br />

was Territorial-autonomie überhaupt bedeutet. Die<br />

empirische, über mehrere Jahrzehnte gesammelte<br />

Erfassung ihrer Leistungen kann dazu beitragen, einen<br />

konkreten Erfahrungsschatz sichtbar zu machen, der<br />

von aller Welt in Anspruch genommen werden kann.<br />

Wenn Flexibilität immer noch eine der Stärken von<br />

Autonomie ist, wie Markku Suksi 1998 anmerkte,<br />

ist Zweideutigkeit keine Tugend mehr. 402 Wenn nicht<br />

401 Kritisch zum Recht auf Autonomie äußern sich: Steven Roach,<br />

Minority Rights and an Emergent International Right to Autonomy:<br />

A Historical and Normative Assessment, in: International Journal on<br />

Minority and Group Rights 11, S. 411-432, 2004; und Tim Potier,<br />

Autonomy in the 21 st century through theoretical binoculars, VN-<br />

Menschenrechts-kommission, Unterkommission zu Minderheitenrechten,<br />

New York, Mai 2001<br />

402 Markku Suksi (1998), Concluding remarks, in Markku Suksi<br />

(ed. 1998), S. 357<br />

<strong>für</strong> eine Positivierung des Ausdrucks Autonomie<br />

gesorgt wird, dann sind klare Mindeststandards<br />

und Bestimmungskriterien geboten, um Autonomie<br />

als rechtlich relevante Kategorie und als Mittel der<br />

vertikalen Gewaltenteilung im <strong>Völker</strong>recht voll zu<br />

etablieren. Einige Entwicklungen innerhalb des<br />

Europarates und der OSZE sind besonders bedeutsam in<br />

diesen Bemühungen, eine internationale Übereinkunft<br />

zum Recht auf Territorial-autonomie zu verankern. 403<br />

Somit erhält Territorialautonomie im Rahmen dieses<br />

Konventionsentwurfs ein klares rechtlich-politisches<br />

Profil, und zwar als ein umfassendes Set an Regeln und<br />

Mindestvoraussetzungen, wobei die Flexibilität in der<br />

konkreten Anwendung beibehalten wird. Autonomie<br />

muss in der heutigen politischen und akademischen<br />

Diskussion aus dem Bereich „völliger Willkür“<br />

heraustreten, wo nahezu alle Formen innerstaatlicher<br />

Dezentralisierung bis hin zur Quasi-Unabhängigkeit<br />

hineingelesen werden. Eine internationale Konvention<br />

wäre von größter Bedeutung, um den Standard<br />

<strong>für</strong> Autonomie festzulegen, um die bestmöglichen<br />

Anwendungsbeispiele oder gar Musterlösungen zu<br />

bestimmen, was wiederum sowohl interessierten<br />

Staaten als auch Minderheitenvertretern als<br />

Bezugspunkt bei ernsthaften Verhandlungen dienen<br />

kann. Dies würde auch <strong>für</strong> mehr Transparenz bei<br />

den Zielen und <strong>für</strong> mehr Vertrauen sorgen, auch<br />

um überzogene Erwartungen bei der betroffenen<br />

Bevölkerung zu verhindern.<br />

Leider kann man derzeit auch in Europa noch<br />

keine Anzeichen eines „aufkeimenden Rechtes auf<br />

Autonomie“ beobachten, doch ist ein derartiges<br />

kollektives Recht eine Bedingung <strong>für</strong> die Sicherung<br />

zweier grundlegender Erfordernisse: zum einen<br />

die Festlegung der Mindestanforderungen an eine<br />

Autonomie einschließlich der Definition der dazu<br />

berechtigten Gruppen; zum andern die völkerrechtliche<br />

Verankerung der einzelnen Autonomieformen. Der<br />

Hauptvorteil einer solchen Konvention wäre, dass<br />

Territorialautonomie zwar weiterhin in der Anwendung<br />

flexibel bliebe, doch in rechtlichen Kategorien nicht<br />

mehr so willkürlich gefasst werden könnte wie<br />

bisher. Zudem müsste Autonomie zwecks Erreichung<br />

der gesteckten Ziele klaren Mindestanforderungen<br />

gerecht werden. Zum zweiten gewänne man einen <strong>für</strong><br />

403 In diesem Zusammenhang hat auch der Europarat in seiner<br />

Resolution Nr.1334 vom 24. Juni 2003 zur Stärkung der regionalen<br />

Autonomien zur Lösung ethnischer Konflikte aufgerufen. Die<br />

Regionen erfüllen ein weit verbreitetes Bedürfnis nach Sicherheit<br />

im eigenen Land, um ihre Identität zu behalten und zu entwickeln,<br />

und um sich in der eigenen Heimat verwurzelt zu fühlen. Die EU-25<br />

umfasst 450 Regionen und nicht weniger als 100.000 Gemeinden.<br />

Grundinformationen über alle Regionen der Mitgliedsländer des<br />

Europarats enthält: www.fedre.org.

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