Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
Garantien abgegeben werden. Bei Errichtung einer<br />
Autonomie hat der betroffene Staat ein Interesse,<br />
von weiteren Forderungen nach Selbstbestimmung<br />
und Schritten zur Sezession verschont zu bleiben,<br />
solange Autonomie in ihrer Substanz gewahrt wird.<br />
Andererseits muss sich die betroffene Minderheit<br />
mit geltenden <strong>Völker</strong>rechtsnormen davor schützen<br />
können, dass wechselnde Mehrheiten auf staatlicher<br />
Ebene die Ecksteine des Autonomiesystems<br />
antasten. Der Stabilität und des Friedens willen,<br />
verzichten beide Parteien auf einen Teil ihrer<br />
„traditionellen Souveränität“: die Minderheit wird mit<br />
Territorialautonomie zufrieden gestellt, während der<br />
Staat sich internationaler Beobachtung hinsichtlich<br />
der Einhaltung der Autonomierechte nationaler<br />
Minderheiten unterwirft. Diese Bestimmung hat<br />
grundlegende Bedeutung im Aufbau des nötigen<br />
Vertrauens zwischen den Konfliktparteien. Wenn diese<br />
sich auf das rechtliche Rahmenwerk einer solchen<br />
„Konvention über das Recht auf Autonomie“ berufen<br />
könnten, wäre sowohl die staatliche Souveränität als<br />
auch die Autonomie als Anwendungsform interner<br />
Selbstbestimmung völkerrechtlich garantiert. 401 .<br />
Im <strong>Völker</strong>recht gibt es allerdings kein irgendwie<br />
kodifiziertes Recht auf Autonomie, während auf der<br />
Ebene des Verfassungsrechts allein Spanien ein solches<br />
Recht auf Autonomie festgeschrieben hat. Die gängige<br />
Form der Einrichtung von Territorialautonomien sind<br />
ad-hoc-Regelungen unter Druck von harten, manchmal<br />
gewaltsamen Auseinandersetzungen. In diesen<br />
Prozessen und auch in der allgemeinen politischen<br />
Debatte um Autonomie ist Autonomie nach ihrem<br />
Konzept und Inhalt stark von Flexibilität, wenn nicht<br />
gar Mehrdeutigkeit geprägt. Die wachsende Zahl von<br />
Autonomien, die es nun in mindestens 22 Staaten der<br />
Erde gibt, können ein klareres Profil dessen vermitteln,<br />
was Territorial-autonomie überhaupt bedeutet. Die<br />
empirische, über mehrere Jahrzehnte gesammelte<br />
Erfassung ihrer Leistungen kann dazu beitragen, einen<br />
konkreten Erfahrungsschatz sichtbar zu machen, der<br />
von aller Welt in Anspruch genommen werden kann.<br />
Wenn Flexibilität immer noch eine der Stärken von<br />
Autonomie ist, wie Markku Suksi 1998 anmerkte,<br />
ist Zweideutigkeit keine Tugend mehr. 402 Wenn nicht<br />
401 Kritisch zum Recht auf Autonomie äußern sich: Steven Roach,<br />
Minority Rights and an Emergent International Right to Autonomy:<br />
A Historical and Normative Assessment, in: International Journal on<br />
Minority and Group Rights 11, S. 411-432, 2004; und Tim Potier,<br />
Autonomy in the 21 st century through theoretical binoculars, VN-<br />
Menschenrechts-kommission, Unterkommission zu Minderheitenrechten,<br />
New York, Mai 2001<br />
402 Markku Suksi (1998), Concluding remarks, in Markku Suksi<br />
(ed. 1998), S. 357<br />
<strong>für</strong> eine Positivierung des Ausdrucks Autonomie<br />
gesorgt wird, dann sind klare Mindeststandards<br />
und Bestimmungskriterien geboten, um Autonomie<br />
als rechtlich relevante Kategorie und als Mittel der<br />
vertikalen Gewaltenteilung im <strong>Völker</strong>recht voll zu<br />
etablieren. Einige Entwicklungen innerhalb des<br />
Europarates und der OSZE sind besonders bedeutsam in<br />
diesen Bemühungen, eine internationale Übereinkunft<br />
zum Recht auf Territorial-autonomie zu verankern. 403<br />
Somit erhält Territorialautonomie im Rahmen dieses<br />
Konventionsentwurfs ein klares rechtlich-politisches<br />
Profil, und zwar als ein umfassendes Set an Regeln und<br />
Mindestvoraussetzungen, wobei die Flexibilität in der<br />
konkreten Anwendung beibehalten wird. Autonomie<br />
muss in der heutigen politischen und akademischen<br />
Diskussion aus dem Bereich „völliger Willkür“<br />
heraustreten, wo nahezu alle Formen innerstaatlicher<br />
Dezentralisierung bis hin zur Quasi-Unabhängigkeit<br />
hineingelesen werden. Eine internationale Konvention<br />
wäre von größter Bedeutung, um den Standard<br />
<strong>für</strong> Autonomie festzulegen, um die bestmöglichen<br />
Anwendungsbeispiele oder gar Musterlösungen zu<br />
bestimmen, was wiederum sowohl interessierten<br />
Staaten als auch Minderheitenvertretern als<br />
Bezugspunkt bei ernsthaften Verhandlungen dienen<br />
kann. Dies würde auch <strong>für</strong> mehr Transparenz bei<br />
den Zielen und <strong>für</strong> mehr Vertrauen sorgen, auch<br />
um überzogene Erwartungen bei der betroffenen<br />
Bevölkerung zu verhindern.<br />
Leider kann man derzeit auch in Europa noch<br />
keine Anzeichen eines „aufkeimenden Rechtes auf<br />
Autonomie“ beobachten, doch ist ein derartiges<br />
kollektives Recht eine Bedingung <strong>für</strong> die Sicherung<br />
zweier grundlegender Erfordernisse: zum einen<br />
die Festlegung der Mindestanforderungen an eine<br />
Autonomie einschließlich der Definition der dazu<br />
berechtigten Gruppen; zum andern die völkerrechtliche<br />
Verankerung der einzelnen Autonomieformen. Der<br />
Hauptvorteil einer solchen Konvention wäre, dass<br />
Territorialautonomie zwar weiterhin in der Anwendung<br />
flexibel bliebe, doch in rechtlichen Kategorien nicht<br />
mehr so willkürlich gefasst werden könnte wie<br />
bisher. Zudem müsste Autonomie zwecks Erreichung<br />
der gesteckten Ziele klaren Mindestanforderungen<br />
gerecht werden. Zum zweiten gewänne man einen <strong>für</strong><br />
403 In diesem Zusammenhang hat auch der Europarat in seiner<br />
Resolution Nr.1334 vom 24. Juni 2003 zur Stärkung der regionalen<br />
Autonomien zur Lösung ethnischer Konflikte aufgerufen. Die<br />
Regionen erfüllen ein weit verbreitetes Bedürfnis nach Sicherheit<br />
im eigenen Land, um ihre Identität zu behalten und zu entwickeln,<br />
und um sich in der eigenen Heimat verwurzelt zu fühlen. Die EU-25<br />
umfasst 450 Regionen und nicht weniger als 100.000 Gemeinden.<br />
Grundinformationen über alle Regionen der Mitgliedsländer des<br />
Europarats enthält: www.fedre.org.