Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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Zu allen menschlichen Beziehungssystemen gehören<br />
Konflikte, und auch in politischen Systeme treten<br />
immer wieder neue Konflikte auf. Welche rechtlichen<br />
Möglichkeiten der Streitschlichtung stehen den<br />
autonomen Regionen und Regierungen offen? Wie<br />
werden unvermeidliche Konflikte zwischen dem<br />
Zentralstaat und dem autonomen Gebiet geschlichtet<br />
und wie können ernsthafte Krisen gelöst oder<br />
vermieden werden?<br />
Wir können diese zehn Funktionen als konstitutive<br />
Elemente jedes Autonomiesystems beachten, während<br />
hingegen andere von sekundärer Bedeutung sind.<br />
Wenn eines oder mehrere der konstitutiven Elemente<br />
fehlt oder sehr mangelhaft geregelt ist, ist die Stabilität,<br />
die Dauerhaftigkeit und die Existenz schlechthin einer<br />
Autonomie gefährdet. In der jüngsten Geschichte sind<br />
einige <strong>Autonomiesysteme</strong> gescheitert, weil einige<br />
„Ecksteine des Gebäudes“ nicht solide genug gebaut<br />
waren. Zwei Beispiele: die Autonomie der beiden<br />
ehemaligen autonomen Provinzen Serbiens, Vojvodina<br />
und Kosovo, waren in der serbischen und jugoslawischen<br />
Verfassung unzureichend verankert. Somit war<br />
Belgrad in der Lage, sie einseitig abzuschaffen. Das<br />
Friedensabkommen <strong>für</strong> die Chittagong-Berggebiete<br />
sollte eine Territorialautonomie errichten, sah<br />
allerdings weder eine Verankerung der Autonomie<br />
in der Verfassung von Bangladesh vor noch präzise<br />
Regeln und Operationskalender zu ihrer Umsetzung,<br />
keine Streitschlichtungs-mechanismen.<br />
In den heute funktionierenden Regionalautonomien<br />
sind derartige Gestaltungselemente rechtlich<br />
unterschiedlich ausgestaltet worden, was die<br />
methodische Frage aufwirft: wie kann der Grad<br />
der Zielerreichung und die Qualität der jeweiligen<br />
Regelung überhaupt erfasst und gemessen werden?<br />
Welche zuverlässige Indikatoren lassen sich <strong>für</strong> die<br />
einzelnen Elemente ausfindig machen? Woran lässt<br />
sich beispielsweise der Erfolg einer Sprachenpolitik<br />
ablesen oder wie kann die rechtliche Absicherung<br />
einer Autonomie vergleichend bewertet werden?<br />
<strong>Autonomiesysteme</strong> als ganze können nicht durch<br />
einige wenige Parameter operationalisiert werden.<br />
Während etwa zentrale Merkmale der sozialen,<br />
wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklung einer<br />
Region in einem Wohlstands- oder Nachhaltigkeitsindex<br />
zusammengepackt werden können, weist ein<br />
Autonomiesystem zu viele nicht quantifizierbare<br />
Dimensionen auf. Zudem ist die Bewertung der<br />
Ergebnisse einer Autonomie stark vom Standpunkt<br />
des Betrachters abhängig. So wird die Regierung<br />
eines Zentralstaats den Erfolg einer auf volle<br />
Gleichberechtigung zielenden Sprachenpolitik anders<br />
5 Schlussfolgerungen<br />
bewerten als die betroffene ethnische Minderheit selbst.<br />
Eine empirisch fundierte Evaluation eines gesamten<br />
Autonomiesystems bezüglich seiner zentralen<br />
Aufgaben ist bisher methodisch noch nicht geklärt und<br />
erfordert die Bewältigung hoher Komplexität. Dennoch<br />
werden in der politischen Praxis und Publizistik immer<br />
wieder <strong>Autonomiesysteme</strong> verglichen, ohne dabei von<br />
empirisch gesicherten Ergebnissen auszugehen. 381<br />
Die grundlegenden Gestaltungselemente eines<br />
regionalen Autonomiesystems sind bisher noch<br />
nicht im Rahmen einer geschlossenen Theorie der<br />
politischen Autonomie herausgearbeitet worden. Die<br />
folgende Übersicht versteht sich als ein Vorschlag,<br />
der wahrscheinlich noch nicht erschöpfend ist,<br />
doch mit Sicherheit die meisten grundlegenden<br />
Aufgaben einer regionalen Territorialautonomie<br />
umfasst. 382 Strukturelemente berühren den Aufbau<br />
einer autonomen Region und ihre Beziehungen<br />
zum Zentralstaat, während die Verfahrenselemente<br />
die Gestaltung wichtiger Entscheidungsverfahren<br />
betreffen. In den „Bereichen autonomer politischer<br />
Regulierung“ entfaltet sich dann die autonome Politik<br />
innerhalb der betroffenen autonomen Region.<br />
Die grundlegenden Gestaltungselemente (funktionale<br />
Elemente) von Territorialautonomie sind - wie<br />
oben ausgeführt, in den heutige funktionierenden<br />
Territorialautonomie in verschiedener Form geregelt<br />
worden, die hier nicht im Detail erläutert werden<br />
können. Eine detaillierter Vergleich der Ausgestaltung<br />
wäre allerdings beschränkt auf diese Elemente<br />
durchaus möglich und sinnvoll, würde allerdings eine<br />
breiter empirischer Recherche bedürfen. Ein solcher<br />
Vergleich würde nicht nur einen Einblick bieten in<br />
die notwendigen Mindeststandards der Regelung<br />
dieser Grundfunktionen, sondern es hypothetisch<br />
ermöglichen, <strong>für</strong> jeden spezifischen Fall einen<br />
„optimalen Standard von Autonomie“ zu entwerfen.<br />
Hier vorerst in schematischer Übersicht nur<br />
einige Beispiele guter Praxis der bestehenden<br />
<strong>Autonomiesysteme</strong>, die diese Grundfunktionen besser<br />
als andere geregelt haben, wobei von der Regelung<br />
im jeweiligen Autonomiestatut oder Autonomiegesetz<br />
ausgegangen wurde.<br />
381 Vgl. Thomas Benedikter (2009), Die Qualität von <strong>Autonomiesysteme</strong>n<br />
im Vergleich, Europa Ethnica 1/2009<br />
382 Vgl. Thomas Benedikter (2007), Autonomien der Welt, ATHE-<br />
SIA Bozen, Kap.4, S.273f.<br />
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