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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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196<br />

<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

einem bedeutenden Schwachpunkt in beiden Rechtsdokumenten:<br />

„...der bilaterale Vertrag ist detaillierter als das<br />

Föderationsabkommen, weicht aber in der Substanz<br />

nur in geringem Umfang ab. Doch ähnelt das<br />

bilaterale Abkommen auch in jener Hinsicht dem<br />

Föderationsabkommen, als kein Mechanismus<br />

spezifiziert wird, wie die Republik und die Föderation<br />

gemeinsame Befugnisse ausüben und wie<br />

Rechtstreitigkeiten geschlichtet werden.“ 303<br />

Russland anerkannte damit das Recht Tatarstans 304<br />

auf eine eigenständige Außenwirt-schaftspolitik,<br />

auf seine eigene Verfassung und Rechtsordnung,<br />

eigenes Budget und Steuerhoheit, Gerichtsbarkeit,<br />

Kontrolle über die natürlichen Ressourcen und das<br />

Bankwesen. Die gemeinsamen Befugnisse schließen<br />

die Regelung der bürgerlichen Rechte und Freiheiten<br />

und den Minderheitenschutz ein sowie den Schutz<br />

Tatarstans territorialer Integrität (Verteidi-gung),<br />

die Rüstungsproduktion und den Waffenhandel, die<br />

Umwidmung von Verteidigungsanlagen in zivil genutzte<br />

Strukturen, die Koordination des Außenhandels, die<br />

Wirtschafts- und Währungspolitik, und die Transportund<br />

Kommunikationspolitik.<br />

Die Republik Tatarstan ist de facto und de jure ein<br />

Teil der Russischen Föderation gemäß dem Russisch-<br />

Tatarischen Abgrenzungsvertrag von 1994. Trotz<br />

einiger Unvereinbarkeiten zwischen der tatarischen<br />

und der Föderationsverfassung gibt es keinen<br />

Zweifel daran, dass Tatarstan kein Teilstaat mit<br />

Sezessionsrecht ist, sondern ein Föderationssubjekt<br />

mit einem einzigartigen Autonomiestatus innerhalb der<br />

asymmetrischen Struktur der Russischen Föderation.<br />

Um die Bestimmungen des Abgrenzungsabkommens<br />

umzusetzen, sind mindestens 12 weitere Abkommen<br />

zwischen den Regierungen der Russischen Föderation<br />

und der Republik Tatarstan unterzeichnet worden.<br />

Diese Verträge befassen sich mit Politikbereichen<br />

wie der Wirtschaftspolitik, dem Staatseigentum,<br />

der Preispolitik, den Militäranlagen, Währung,<br />

Umweltschutz und Rechtsdurchsetzung. Bis heute<br />

konnten die gemeinsam ausgeübten Befugnisse<br />

ohne größere Konflikte geregelt werden. Sollte es<br />

aber zum Konflikt kommen, sieht das Abkommen<br />

kein Schlichtungs-verfahren vor, noch ist ausreichend<br />

geklärt, welche der beiden Verfassungen Vorrang hat.<br />

Wie Nunavut (gemäß Nunavut-Gesetz von 1993),<br />

die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens,<br />

Puerto Rico in den USA und besondere Formen von<br />

Territorialautonomie in Indien, ist Tatarstan nicht nur<br />

303 Vgl. Int. Comm. of Lawyers for Tibet, S.530<br />

304 Vgl. Int. Comm. of Lawyers for Tibet, S. 531<br />

ein Beispiel einer Sonderform von Territorialautonomie,<br />

die im Rahmen asymmetrischer Bundes-staaten<br />

eingerichtet worden sind. Vielmehr ist es das am<br />

weitesten entwickelte Beispiel einer Kategorie von<br />

Föderationssubjekten der Russischen Föderation,<br />

nämlich der 21 Republiken. Streng formal betrachtet<br />

ist Tatarstan keine Regionalautonomie im Sinne der<br />

Bestimmungskriterien laut Kap. 2.10. Doch aus einer<br />

allgemein theoretischen Perspektive kann Tatarstan als<br />

ein herausragendes Beispiel da<strong>für</strong> betrachtet werden,<br />

dass das Konzept von Territorialautonomie mit einem<br />

föderalen Staatsaufbau vereinbar ist, wenn es darum<br />

geht, den besonderen Ansprüchen von nationalen<br />

Minderheiten und kleineren <strong>Völker</strong>n oder regionalen<br />

Gemeinschaften durch Selbstregierung Genüge zu<br />

tun.<br />

Bibliographie<br />

Andreas Heinemann-Grüder, Föderalismus und regionale<br />

Vielfalt in Russland, Berlin (Spitz), 2000<br />

Andreas Heinemann-Grüder (2002), Föderalismus in<br />

Russland, in Gerhard Mangott (Hg.), Zur Demokratisierung<br />

Russlands, Band 2, NOMOS Baden-Baden<br />

Andreas Heinemann-Grüder, Föderalisierung und<br />

Regionale Autonomie in Russland und der GUS, CAP<br />

Munich 2002, unter: http://www.cap.lmu.de<br />

Katherine E. Graney, Projecting sovereignty in Post-<br />

Soviet Russia: Tatarstan in the International Arena,<br />

p.264-294, in Michael Keating/John McGarry (ed.),<br />

Minority Nationalism and the Changing International<br />

Order, Oxford University Press, 2001<br />

Jörg Stadelbauer, Raum, Ressourcen und Bevölkerung,<br />

in: Informationen zur politischen Bildung, Russland,<br />

Bundeszentrale <strong>für</strong> politische Bildung, Nr.281,<br />

4.Quartal 2003<br />

EduardoJ. Ruiz Vieytez, Minority Languages of the<br />

Russian Federation, CIEMEN, Barcelona 2001<br />

Edward W. Walker, Negotiating Autonomy: Tatarstan,<br />

Asymmetrical Federalism and State Consolidation<br />

in Russia, in: Metta Spencer (ed.), Separatism,<br />

Democracy, Disintegration, Oxford 1998<br />

Vladimir Kartashkin und Aslan Abashidze, Autonomy<br />

in the Russian Federation: Theory and Practice, in<br />

International Journal on Minority Affairs and Group<br />

Rights 10, 2004, S. 203-220<br />

International Committee of Lawyers for Tibet, Forms of<br />

Autonomy, New York 1999, S. 527-552<br />

http://www.tatar.ru: Offizielle Website der Regierung<br />

von Tatarstan

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