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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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3 Territorialautonomie am Werk<br />

ethnische Exklusivität erfolgen muss. 228<br />

In Lateinamerika sind nicht nur in Panama (Comarca<br />

Kuna Yala) und in Nicaragua (Atlantikregionen)<br />

Territorialautonomien in diesem Sinne eingerichtet<br />

worden, sondern auch in Kolumbien. Doch aufgrund<br />

der mangelnden Durchführungsbestimmungen und<br />

praktischen Umsetzung sind die autonomen Gebiete<br />

Kolumbiens kaum funktionsfähig und können nicht mit<br />

den Territorialautonomien Nicaraguas und Panamas<br />

auf dieselbe Ebene gestellt werden.<br />

3.14.1 Die Entstehung der Autonomie<br />

Während der Zeit der Kolonisierung vermochten die<br />

Kuna-Gemeinschaften relativ unbehelligt zu leben, ohne<br />

durch die koloniale Machtstruktur in die mestizische<br />

<strong>Gesellschaft</strong> Kolumbiens aufgesogen zu werden. Die<br />

Karibikküste Panamas bildete gleichermaßen eine<br />

nicht offizielle Pufferzone zwischen der britischen und<br />

spanischen Einflusssphäre. Erst im 19. Jahrhundert<br />

drängten mestizische Kautschuksucher die Kuna-<br />

Gemeinschaften immer mehr auf die vorgelagerten<br />

Inseln ab.<br />

1871 überließ die Regierung von Groß-Kolumbien<br />

den Kuna die Comarca de Tulanega, um die “Wilden<br />

zu zähmen“. Als Panama 1903 ein eigener Staat<br />

wurde, drangen immer mehr christliche Missionare in<br />

die Kuna-Region vor. Polizeistationen und staatliche<br />

Schulen wurden errichtet und sorgten <strong>für</strong> Angst und<br />

Unruhe unter den Kuna.<br />

Die in San Blas 1915 errichteten Staats-behörden<br />

verfolgten eine klassische Kolonialpolitik im Sinne<br />

der „Integration“ aller indianischen <strong>Völker</strong> des jungen<br />

Staates Panama. Nach Fertigstellung des Panamakanals<br />

drängten Tausende von Arbeitern aus Haiti und anderen<br />

Karibikinseln in die Kuna-Region und lösten heftigen<br />

Widerstand aus. 1925 rebellierten einige Kuna-<br />

Gemeinschaften zum ersten Mal offen gegen diese<br />

staatlich geförderte Überfremdung. Der bewaffnete<br />

Kampf <strong>für</strong> Selbstbestimmung begann am 25. Februar<br />

1925, als eine bewaffnete Gruppe von Kuna die Polizei<br />

auf den Inseln Tupile und Ukupsein angriff. Zuvor<br />

hatte die Polizei versucht, bestimmte Traditionen der<br />

Kuna zu verbieten. Nach dem Scheitern vieler Treffen<br />

zwischen Kuna-Führern und Staatsvertretern schaltete<br />

sich eine Delegation der USA als Vermittler ein. Erst<br />

1930 erkannte der Staat Panama die Autonomie der<br />

Kuna von San Blas an, die 1938 offiziell als Comarca<br />

228 In der Comarca Kuna Yala haben nicht-ethnische Kuna jedenfalls<br />

kein Recht auf den Erwerb von Grund und Boden.<br />

de San Blas gegründet wurde. Mit dem Gesetz Nr. 16<br />

von 1953 wurde die Autonomie der jetzt Comarca de<br />

Kuna Yala genannten Kuna-Region mit einem Statut<br />

besser definiert. Mit dem Gesetz Nr. 20 von 1957<br />

wurde die Comarca zur „Indianerreservation“ erklärt.<br />

Die heutige Rechtsgrundlage ist das Grundgesetz<br />

der Comarca Kuna Yala von 1995, das deutlich<br />

über den Reservatsstatus hinausgeht und einem<br />

Autonomiestatut gleichkommt.<br />

Nach dem Modell der Comarca Kuna Yala errichtete<br />

Panama zwei weitere den Kuna vorbehaltene<br />

Comarcas, die Kuna de Madugandí (1997) und Kuna<br />

de Wargandí. (2000). Schon 1983 hatten die Emberá<br />

(Wounaan) und 1997 die Ngobe-Buglé eine eigene<br />

autonome Comarcas erhalten. Auf einem Kongress<br />

von Kuna-Vertretern aller 68 Kuna-Gemeinschaften im<br />

April 2003 bekräftigten die drei Kuna-Territorien ihre<br />

Forderung, eine gemeinsame autonome Region zu<br />

gründen.<br />

3.14.2 Das Autonomiesystem<br />

Das Gesetz Nr. 16 von 1953, das die Comarca Kuna<br />

Yala begründete, kann als ein juridischer Pionierakt<br />

bezüglich der Territorialautonomie indigener <strong>Völker</strong><br />

Amerikas überhaupt betrachtet werden. Es anerkennt<br />

die Kuna als ein kollektives Rechtssubjekt mit dem Recht<br />

auf ein eigenes Territorium. Diese „Carta Organica del<br />

Regimen Comunal Indígena de San Blas” muss jedoch<br />

in Übereinstimmung mit der Verfassung Panamas<br />

und den nationalen Gesetzen angewandt werden. Sie<br />

errichtete genuin autonome Institutionen mit eigener<br />

Gesetzgebung im Rahmen der Staatsverfassung.<br />

Staatliche Akteure und Einzelpersonen hatten sich den<br />

Gesetzen der autonomen Comarca unterzuordnen,<br />

wenn sie auf deren Gebiet leben oder tätig werden<br />

wollten.<br />

40 Jahre lang bildete das Gesetz Nr. 16 von 1953 den<br />

rechtlichen Rahmen <strong>für</strong> die Autonomie der Kuna. Doch<br />

in den 90er Jahren entstand ein dringender Bedarf, die<br />

Koordination zwischen der autonomen Comarca und<br />

den staatlichen Behörden zu verbessern. Im Juni 1995<br />

genehmigte der Allgemeine Kongress der Kuna das<br />

Grundgesetz <strong>für</strong> Kuna Yala, das von einer autonomen<br />

verfassunggebenden Versammlung der Kuna vorgelegt<br />

und vom Kulturkongress, dem höchsten Organ der<br />

Kuna, 1995 abgesegnet wurde. 229 Diese vom nationalen<br />

Parlament 1998 gutgeheißene Grundgesetz bildet<br />

229 Congreso General Kuna de la cultura, Ley Fundamental de<br />

Comarca Kuna Yala, Urandí 1995<br />

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