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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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Macht reguliert werden Wenn sowohl die staatliche<br />

Souveränität und Einheit als auch die kollektiven<br />

Rechte und die Selbstregierung von Minderheiten<br />

gewahrt werden soll, ist eine vertikale Gewaltenteilung<br />

zwischen verschiedenen Regierungsebenen von<br />

entscheidender Bedeutung. Dieser Prozess ist bisher -<br />

in historischer Perspektive betrachtet - vor allem in der<br />

Anwendung föderalistischer Staatsordnungen und der<br />

Dezentralisierung von Einheitsstaaten erfolgt, doch nur<br />

in Ausnahmefällen in Form territorialer Autonomie oder<br />

anderer ad-hoc-Regelungen staatlicher Strukturen.<br />

Dabei geht territoriale Gewaltenteilung nicht nur auf<br />

die Herausforderung ethnischer Konflikte ein, sondern<br />

zielt auf ein Grundanliegen der Demokratie ab: wenn<br />

bestimmte Regionen Autonomie erhalten, erhalten<br />

lokale oder regionale Gemeinschaften die Möglichkeit,<br />

ihre Probleme vor Ort selbst zu lösen. Man eröffnet<br />

damit die Chance, Demokratie zu vertiefen, indem<br />

die politischen Vertretungsrechte verbessert und<br />

Partizipationschancen über die Ebene der zentralen<br />

Staatsverwaltung hinaus ausgeweitet werden. Dies<br />

ist ein Grundbedürfnis und Grundrecht nationaler<br />

Minderheiten. 6 Kurz gesagt: das urdemokratische<br />

Grundbedürfnis nach Selbstregierung im Rahmen einer<br />

gewachsenen Gemeinschaft wird von jenen Gruppen<br />

stärker empfunden, die sich von der Titularnation<br />

eines Staates in ethnischer, religiöser, sprachlicher<br />

Hinsicht unterscheiden.<br />

Wie können ethnische Konflikte nachhaltig gelöst<br />

werden? Die Schule der „Realisten“ geht davon aus,<br />

dass territoriale Gliederung und institutionelle vertikale<br />

Gewaltenteilung optimale Chancen zur langfristigen<br />

Lösung bilden. Auf der anderen Seite spricht sich<br />

eine andere Denkrichtung, jene der „Idealisten“, <strong>für</strong><br />

den Aufbau multinationaler <strong>Gesellschaft</strong>en auf der<br />

Grundlage von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und<br />

dem Schutz individueller Minderheitenrechte aus.<br />

Gemeinsam ist beiden Denkschulen die wachsende<br />

Einsicht in die Notwendigkeit von individuellen und<br />

kollektiven Minderheitenrechten, die in zahlreichen<br />

internationalen Rechtsinstrumenten verankert sind.<br />

Doch schon bei der Anwendung dieser Rechte nimmt<br />

6 Capotortis weithin akzeptierte Definition einer nationalen Minderheit<br />

lautet: “Minderheiten sind im Vergleich mit der Mehrheitsbevölkerung<br />

eines Staates zahlenmäßig kleinere Gruppen, die sich in<br />

einer nicht dominanten Position befinden, deren Mitglieder, Bürger<br />

desselben Staates sind und andere ethnische, religiöse oder sprachliche<br />

Merkmale haben als die restliche Bevölkerung und zumindest<br />

implizit ein Gefühl der Solidarität entwickelt haben, um ihre Kultur,<br />

Tradition, Religion oder Sprache zu erhalten.” (zitiert aus: Christoph<br />

Pan/Beate S. Pfeil, Minority Rights in Europe: A Handbook of<br />

European National Minorities, Vol.2, Wien 2002)<br />

2 Das Konzept der politischen Autonomie<br />

die Übereinstimmung stark ab.<br />

Zwei alternative Lösungen sind bisher auch auf die<br />

Notwendigkeit der territorialen Untergliederung<br />

von Staaten zwecks gerechterer Verteilung der<br />

Macht geboten worden: zum einen der klassische<br />

symmetrische Föderalismus mit wenigen Ausnahmen<br />

der „asymmetrischen Spielart“ von Bundesstaaten.<br />

Zum andern politische Autonomie in verschiedenen<br />

Formen. Bundesstaaten sind in der Regel<br />

„symmetrisch“ aufgebaut, wenn allen konstituierenden<br />

Territorialeinheiten des Staates dieselben Befugnisse<br />

erhalten. In symmetrischen Bundesstaaten ist ein<br />

oder mehrere Gliedstaaten zudem mit besonderen<br />

Befugnissen ausgestattet, die den anderen<br />

Gliedstaaten vorbehalten bleiben, insbesondere<br />

um eine besondere Kultur, Sprache und Lebensform<br />

zu schützen. Wie die Beispiele Kanada, Indien und<br />

Russland zeigen, ergibt sich daraus ein fließender<br />

Übergang von asymmetrischen Föderalstaatsformen zu<br />

Staaten mit ein oder mehreren Territorialautonomien.<br />

Obwohl asymmetrische Föderalstaaten grundsätzlich<br />

auf einer föderalen Verfassung beruhen, umfassen<br />

sie einige Territorialeinheiten mit ganz besonderen<br />

Befugnissen. 7 Diese Form staatlicher Organisation<br />

könnte auch als „besondere Territorialautonomie im<br />

Rahmen eines Bundesstaats“ bezeichnet werden<br />

können. Es gibt demnach verschiedene Formen<br />

territorialer Gewaltenteilung, die sich oft nicht<br />

ausschließen, sondern je nach politischem Kontext<br />

flexibel kombiniert werden können.<br />

Föderalismus ist die bekannteste Form der territorialen<br />

Aufteilung von staatlichen Regulierungsbefugnissen.<br />

Seine Grundidee geht von der Gleichberechtigung<br />

aller beteiligten Regionen oder Gliedstaaten aus,<br />

die im selben Rechtsverhältnis zum Zentralstaat<br />

stehen. Verschiedene Beispiele aus der Geschichte<br />

und der heutigen politischen Realität beweisen, dass<br />

man dadurch im Staatsaufbau ethnischer Vielfalt am<br />

besten gerecht geworden ist, wie etwa in der Schweiz,<br />

Indien und Russland. Föderalismus wurde auch zur<br />

Lösung ethnischer Konflikte eingeführt, nachdem sich<br />

zentralistische Strukturen wie in Belgien, Malaysia<br />

und Nigeria als untauglich erwiesen hatten. Doch<br />

wenn nur eine oder wenige nationale Minderheiten,<br />

die auf einem kleineren Teil des Staatsgebiets siedeln,<br />

eine besondere vertikale Gewaltenteilung erfordern,<br />

scheint ein Föderalsystem nicht nötig. In einigen<br />

7 Dies trifft auf Nunavut im föderalen Kanada, auf Tatarstan<br />

und viele andere Föderationssubjekte in Russland, auf einige<br />

Staaten des indischen Nordostens sowie Jammu und Kaschmir<br />

und auf die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens zu.<br />

Die Unterscheidungskriterien werden in Kapitel 2.2 erläutert.<br />

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