Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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Vorwort<br />
Autonomie: Patentrezept<br />
<strong>für</strong> den Schutz ethnischer<br />
Minderheiten?<br />
Kann eine Autonomieregelung die Lösung <strong>für</strong> alle<br />
ethnisch begründeten Minderheitenprobleme sein?<br />
Diese Frage steht am Beginn. Sie steht nicht nur am<br />
Beginn der Lektüre der vorliegenden wissenschaftlichen<br />
Arbeit von Thomas Benedikter, sondern sie sollte<br />
am Beginn jeder Diskussion stehen, wenn es darum<br />
geht, Minderheiten zu schützen, ihren Fortbestand<br />
zu garantieren. Auch wenn es kein Patentrezept<br />
<strong>für</strong> Minderheitenschutz oder ein allgemein gültiges<br />
Autonomiemodell gibt, kann doch von einem solchen<br />
Modell zumindest ausgegangen und überlegt werden:<br />
was ist möglich, was ist realistisch, was ist umsetzbar<br />
und was ist der bestmögliche Weg dorthin? Und<br />
im Hintergrund der ganzen Diskussion muss er im<br />
Mittelpunkt stehen: der Mensch. In diesem Fall, der<br />
Mensch, der einer autochthonen, nationalen Minderheit<br />
angehört, egal auf welchem Zipfel der Welt.<br />
Einfach ist dies nicht. Schon in Europa, wo anscheinend<br />
doch Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie<br />
die Achtung der Menschenrechte ein gemeinsames<br />
Wertegefüge bilden, fehlt ein rechtlich abgesicherter<br />
und <strong>für</strong> alle geltender Minderheitenschutz.; geschweige<br />
denn in Ländern der Welt, wo selbst elementare<br />
Menschenrechte in Frage gestellt werden. Aber es<br />
muss unsere Herausforderung bleiben. Mit uns meine<br />
ich alle, die selbst einer Minderheit angehören und aus<br />
dieser Betroffenheit heraus agieren. Mit uns meine<br />
ich aber auch alle, die von der Ungerechtigkeit und<br />
Missachtung der Minderheitenrechte wissen.<br />
Der Aufklärer Voltaire sagte: „Frei sein heißt, die<br />
Rechte des Menschen kennen, denn kennt man<br />
sie einmal, so verteidigt man sie von selbst.“ Die<br />
Aufklärungszeit legte, wie wir wissen, den Grundstein<br />
<strong>für</strong> die Menschenrechte. Und die Menschenrechte<br />
sind eine gute Basis <strong>für</strong> die Minderheitenrechte, aber<br />
eben nur die Basis. Inzwischen hat sich die Erkenntnis<br />
durchgesetzt, dass ein auf dem bloßen individuellen<br />
Bürger- und Menschenrechtsschutz beruhender<br />
Minderheitenschutz nicht ausreicht. Kollektive<br />
Minderheitenrechte müssen rechtlich verankert und<br />
einklagbar sein, denn bislang fehlte die rechtliche<br />
Grundlage <strong>für</strong> einen solchen Minderheitenschutz. Wir<br />
stehen erst am Anfang dieses Weges. Aber das Wissen<br />
um diese von Voltaire zitierten Rechte, in diesem<br />
Fall das Wissen um die Rechte als Minderheit, ist die<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> ihre selbstbewusste Einforderung<br />
und Verteidigung.<br />
Es gibt eine Reihe von Resolutionen, Erklärungen,<br />
Konventionen, bilateralen Verträgen und Abkommen.<br />
Diese Dokumente sind zwar als Schritte in die<br />
richtige Richtung, aber noch nicht als rechtlich<br />
allgemeingültiger Minderheitenschutz zu sehen.<br />
Selbst die beiden Rechtsinstrumente des Europarates<br />
- das Rahmenabkommen zum Schutz nationaler<br />
Minderheiten und die Europäische Charta <strong>für</strong><br />
Regional- und Minderheitensprachen - sind noch<br />
nicht in allen Ländern ratifiziert und umgesetzt. In<br />
der Grundrechtecharta der EU ist ein allgemeines<br />
Diskriminierungsverbot von Minderheiten und die<br />
Anerkennung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt<br />
Europas verankert. Man hatte auf die EU-Verfassung<br />
gehofft. Doch auch hier scheint man, was den<br />
Minderheitenschutz anbelangt, erheblich weniger weit<br />
zu gehen als es angemessen wäre.<br />
Und gerade in diesem Zusammenhang sehe ich auch,<br />
wie wichtig es ist, parallel und vielleicht auch vorher<br />
schon, eigene und warum nicht auch andere, neue<br />
Modelle zu entwickeln, die Minderheitenschutz konkret<br />
und operativ umsetzen. Ein solches Konzept wird hier<br />
von Thomas Benedikter vorgestellt: das Modell der<br />
Regionalautonomie.<br />
Den viel verwendeten, aber kaum definierten und klar<br />
umrissenen Begriff der Autonomie einzufangen und<br />
ihn mit wissenschaftlicher Akribie zu untersuchen,<br />
war eines der Ziele des Autors. Es ist ihm gelungen,<br />
aber nicht nur dies: Thomas Benedikter tastet sich an<br />
das Thema akribisch heran und lässt keine Nuance<br />
aus. Zuerst legt er das Fundament mit Definitionen,<br />
Sichtweisen, historischen Darlegungen, rechtlichen<br />
Grundlagen und Beschreibung verschiedenster<br />
Rahmenbedingungen. Dann führt er verschiedenste<br />
Modelle der Autonomie vor, immer kritisch und<br />
unvoreingenommen und vergleicht sie miteinander.<br />
Nach der Lektüre tut man sich schwer von einem<br />
Modell der Autonomie zu sprechen. Zu vielseitig<br />
sind die Faktoren, die zu berücksichtigen sind, zu<br />
unterschiedlich die Rahmenbedingungen, die zu<br />
Autonomieregelungen geführt haben, zu kontrovers,<br />
was Minderheiten selbst sich unter einer Autonomie<br />
vorstellen.<br />
Was das Buch außerdem auch noch besonders wertvoll<br />
macht, ist das, was ich über die Wissenschaftlichkeit<br />
hinaus zu erkennen glaube: die enge Bindung<br />
zu Menschen, die Minderheiten angehören, die<br />
Ehrlichkeit, einzugestehen, dass Autonomie nicht <strong>für</strong><br />
jede Minderheitensituation das Schutzinstrument par<br />
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