Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
Ende der 60er Jahre lehnte sich eine neue, radikalere<br />
Führungsschicht der Indianer erfolgreich gegen<br />
die Assimilierungspolitik auf. Der neue Slogan war<br />
„Selbstbestimmung“, was den Präsidenten Nixon<br />
1975 zum „Indian Self-Determination and Education<br />
Assistance Act“ veranlasste. Die US-Regierung hatte<br />
erkannt, dass die völlige Assimilierung der Ureinwohner<br />
nicht erreicht werden konnte. Sie beschloss, die<br />
meisten sozialen und wirtschaftlichen Hilfsprogramme<br />
den anerkannten Stämmen selbst zu übertragen und<br />
die paternalistische Struktur des BIA abzubauen.<br />
Die einzelnen Bundesministerien behielten nur die<br />
Verantwortung, die autonom und von gewählten<br />
Stammesführern geführten Programme zu finanzieren.<br />
Diese neue Generation amerikanischer Indianer war<br />
weit besser auf die Aufgaben der Selbstverwaltung<br />
vorbereitet als ihre Eltern und wussten, wie man<br />
Betriebe führte, Institutionen aufbaute und weiße<br />
Fachleute in Dienst nehmen konnte. Somit zog sich das<br />
BIA nach und nach auf die Rolle der Aufsichtsbehörde<br />
der autonomen Indianer-Selbstverwaltung zurück.<br />
Auch nach diesem Gesetz waren Konflikte wegen<br />
Kompetenzüberschreitungen zwischen dem BIA und<br />
Indianerreservaten eher die Regel als die Ausnahme.<br />
Das BIA als solches blieb von diesem Wandel auch<br />
nicht unberührt: 90% seiner Angestellten aller Ränge<br />
sind heute Ureinwohner.<br />
Heute gehört es zum normalen Bild der US-<br />
Reservate, dass die Lokalpolizei, die Zivilgerichte,<br />
Wohnungsprogramme und Gesundheits<strong>für</strong>sorge direkt<br />
vom Reservat geführt werden. Doch bezüglich der<br />
Nutzung der natürlichen Ressourcen hat das BIA nach<br />
wie vor einen gewichtigen Einfluss. Indianisches Land<br />
mit all seinen Bodenschätzen ist Eigentum des Staates,<br />
das den Indianern nur zur Nutzung überlassen ist. 10%<br />
der Gas- und Ölreserven, 33% der Kohlereserven mit<br />
geringem Schwefelgehalt und 55% des Urans der USA<br />
befinden sich auf Indianerland. 314<br />
Innerhalb der Indianerreservate befinden sich<br />
immer noch 80% des Landes in Stammeseigentum,<br />
während 19% Privateigentum ist, das auch nichtindianischen<br />
Privateigentümern gehört. Die restlichen<br />
1% befinden sich im Eigentum der Bundesregierung,<br />
meist <strong>für</strong> die öffentlichen Infrastrukturen und Dienste<br />
wie Straßen, Schulen, Krankenhäuser. Weder der<br />
individuelle Besitzer noch der Stamm dürfen das Land<br />
veräußern, sind aber im Gegenzug von der durch die<br />
Bundesstaaten eingehobenen Grundsteuer befreit.<br />
2006 befanden sich noch 2,3% der Landoberfläche<br />
314 Vgl. Klaus Frantz (1995), S. 40<br />
der USA (rund 92.000 km 2 ) unter der Kontrolle der<br />
Ureinwohner, was ungefähr der Fläche von Idaho<br />
entspricht. Die Expansion der weißen Siedler ist<br />
beendet, doch die indianischen Nationen sind in die<br />
unwirtlichsten und unfruchtbarsten Gebiete der USA<br />
abgedrängt worden. Die früher selbstversorgende und<br />
nachhaltige Ökonomie der Indianer ist zerstört worden<br />
und dies hat die meisten Indianer von öffentlichen<br />
Zuschüssen und Sozialleistungen abhängig gemacht.<br />
Der Löwenanteil des Indianerlands war vom Staat<br />
annektiert oder privatisiert und <strong>für</strong> den Einzelbesitz<br />
verkauft worden, was anschließend oft zu seiner<br />
Weiterveräußerung an Nicht-Indianer geführt hatte. In<br />
den 80er und 90er Jahren konnten die Indianer dank<br />
einiger Reformen etwa 15.400 km 2 des verlorenen<br />
Landes zurückerhalten. 93% der Reservate befinden<br />
sich heute in 11 US-Bundesstaaten vor allem im<br />
Südwesten, Süden und in Nord-Dakota, während nur<br />
3% dieser Reservate östlich des Mississippi liegen. 315<br />
309 Indianervölker sind rechtlich offiziell anerkannt, 316<br />
doch nur 264 haben ein eigenes Reservat. 65% der<br />
Reservate sind kleiner als 100 km 2 , nur 7% größer als<br />
2.500 km 2 . Das Reservat der Navajo ist mit 63.000 km 2<br />
Gesamtfläche bei weitem das größte der USA.<br />
4.3.3 Sind Reservate autonome<br />
Regionen?<br />
Unter rechtlichem Aspekt gibt es verschiedene<br />
Arten von Reservaten. Die wichtigste Form ist jene<br />
der „Vertragsreservation“ (Treaty reservation) auf<br />
öffentlichem Grund und Boden, die von der US-<br />
Regierung einem rechtlich anerkannten Volk oder<br />
Stamm übertragen wird. Eine zweite Form ist ein<br />
Reservat, dessen Land sich in privatrechtlichem<br />
Indianereigentum befindet. Reservate sind auch auf dem<br />
Wege der Schenkung von Land zustande gekommen.<br />
Die meisten Reservatsgründungen erfolgten nach<br />
1871 durch eine Ausführungsbestimmung des US-<br />
Präsidenten oder als Gesetze des US-Kongresses.<br />
Diese Neuordnungen und Gesetze können jedoch zu<br />
jederzeit aufgehoben werden, womit das Reservat<br />
seine Rechtsgrundlage verliert. In den USA kann man<br />
heute zwischen fünf verschiedenen Kategorien von<br />
Indianerland unterscheiden:<br />
- parzelliertes Land in indianischem<br />
Privateigentum (aber von den USA<br />
315 Die vollständige Liste der Reservationen findet sich im offiziellen<br />
US-Index der Reservationen unter: http://www.cr.nps.gov/<br />
nagpra/DOCUMENTS/ResMapsIndex.htm<br />
316 Klaus Frantz (1995), S. 51