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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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206<br />

<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

Ende der 60er Jahre lehnte sich eine neue, radikalere<br />

Führungsschicht der Indianer erfolgreich gegen<br />

die Assimilierungspolitik auf. Der neue Slogan war<br />

„Selbstbestimmung“, was den Präsidenten Nixon<br />

1975 zum „Indian Self-Determination and Education<br />

Assistance Act“ veranlasste. Die US-Regierung hatte<br />

erkannt, dass die völlige Assimilierung der Ureinwohner<br />

nicht erreicht werden konnte. Sie beschloss, die<br />

meisten sozialen und wirtschaftlichen Hilfsprogramme<br />

den anerkannten Stämmen selbst zu übertragen und<br />

die paternalistische Struktur des BIA abzubauen.<br />

Die einzelnen Bundesministerien behielten nur die<br />

Verantwortung, die autonom und von gewählten<br />

Stammesführern geführten Programme zu finanzieren.<br />

Diese neue Generation amerikanischer Indianer war<br />

weit besser auf die Aufgaben der Selbstverwaltung<br />

vorbereitet als ihre Eltern und wussten, wie man<br />

Betriebe führte, Institutionen aufbaute und weiße<br />

Fachleute in Dienst nehmen konnte. Somit zog sich das<br />

BIA nach und nach auf die Rolle der Aufsichtsbehörde<br />

der autonomen Indianer-Selbstverwaltung zurück.<br />

Auch nach diesem Gesetz waren Konflikte wegen<br />

Kompetenzüberschreitungen zwischen dem BIA und<br />

Indianerreservaten eher die Regel als die Ausnahme.<br />

Das BIA als solches blieb von diesem Wandel auch<br />

nicht unberührt: 90% seiner Angestellten aller Ränge<br />

sind heute Ureinwohner.<br />

Heute gehört es zum normalen Bild der US-<br />

Reservate, dass die Lokalpolizei, die Zivilgerichte,<br />

Wohnungsprogramme und Gesundheits<strong>für</strong>sorge direkt<br />

vom Reservat geführt werden. Doch bezüglich der<br />

Nutzung der natürlichen Ressourcen hat das BIA nach<br />

wie vor einen gewichtigen Einfluss. Indianisches Land<br />

mit all seinen Bodenschätzen ist Eigentum des Staates,<br />

das den Indianern nur zur Nutzung überlassen ist. 10%<br />

der Gas- und Ölreserven, 33% der Kohlereserven mit<br />

geringem Schwefelgehalt und 55% des Urans der USA<br />

befinden sich auf Indianerland. 314<br />

Innerhalb der Indianerreservate befinden sich<br />

immer noch 80% des Landes in Stammeseigentum,<br />

während 19% Privateigentum ist, das auch nichtindianischen<br />

Privateigentümern gehört. Die restlichen<br />

1% befinden sich im Eigentum der Bundesregierung,<br />

meist <strong>für</strong> die öffentlichen Infrastrukturen und Dienste<br />

wie Straßen, Schulen, Krankenhäuser. Weder der<br />

individuelle Besitzer noch der Stamm dürfen das Land<br />

veräußern, sind aber im Gegenzug von der durch die<br />

Bundesstaaten eingehobenen Grundsteuer befreit.<br />

2006 befanden sich noch 2,3% der Landoberfläche<br />

314 Vgl. Klaus Frantz (1995), S. 40<br />

der USA (rund 92.000 km 2 ) unter der Kontrolle der<br />

Ureinwohner, was ungefähr der Fläche von Idaho<br />

entspricht. Die Expansion der weißen Siedler ist<br />

beendet, doch die indianischen Nationen sind in die<br />

unwirtlichsten und unfruchtbarsten Gebiete der USA<br />

abgedrängt worden. Die früher selbstversorgende und<br />

nachhaltige Ökonomie der Indianer ist zerstört worden<br />

und dies hat die meisten Indianer von öffentlichen<br />

Zuschüssen und Sozialleistungen abhängig gemacht.<br />

Der Löwenanteil des Indianerlands war vom Staat<br />

annektiert oder privatisiert und <strong>für</strong> den Einzelbesitz<br />

verkauft worden, was anschließend oft zu seiner<br />

Weiterveräußerung an Nicht-Indianer geführt hatte. In<br />

den 80er und 90er Jahren konnten die Indianer dank<br />

einiger Reformen etwa 15.400 km 2 des verlorenen<br />

Landes zurückerhalten. 93% der Reservate befinden<br />

sich heute in 11 US-Bundesstaaten vor allem im<br />

Südwesten, Süden und in Nord-Dakota, während nur<br />

3% dieser Reservate östlich des Mississippi liegen. 315<br />

309 Indianervölker sind rechtlich offiziell anerkannt, 316<br />

doch nur 264 haben ein eigenes Reservat. 65% der<br />

Reservate sind kleiner als 100 km 2 , nur 7% größer als<br />

2.500 km 2 . Das Reservat der Navajo ist mit 63.000 km 2<br />

Gesamtfläche bei weitem das größte der USA.<br />

4.3.3 Sind Reservate autonome<br />

Regionen?<br />

Unter rechtlichem Aspekt gibt es verschiedene<br />

Arten von Reservaten. Die wichtigste Form ist jene<br />

der „Vertragsreservation“ (Treaty reservation) auf<br />

öffentlichem Grund und Boden, die von der US-<br />

Regierung einem rechtlich anerkannten Volk oder<br />

Stamm übertragen wird. Eine zweite Form ist ein<br />

Reservat, dessen Land sich in privatrechtlichem<br />

Indianereigentum befindet. Reservate sind auch auf dem<br />

Wege der Schenkung von Land zustande gekommen.<br />

Die meisten Reservatsgründungen erfolgten nach<br />

1871 durch eine Ausführungsbestimmung des US-<br />

Präsidenten oder als Gesetze des US-Kongresses.<br />

Diese Neuordnungen und Gesetze können jedoch zu<br />

jederzeit aufgehoben werden, womit das Reservat<br />

seine Rechtsgrundlage verliert. In den USA kann man<br />

heute zwischen fünf verschiedenen Kategorien von<br />

Indianerland unterscheiden:<br />

- parzelliertes Land in indianischem<br />

Privateigentum (aber von den USA<br />

315 Die vollständige Liste der Reservationen findet sich im offiziellen<br />

US-Index der Reservationen unter: http://www.cr.nps.gov/<br />

nagpra/DOCUMENTS/ResMapsIndex.htm<br />

316 Klaus Frantz (1995), S. 51

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