Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
Im Mai 2004 wurden drei weitere Abkommen<br />
unterzeichnet. Das wichtigste dieser Abkommen regelt<br />
die gemeinsame Ausübung der Regierungsgewalt.<br />
Omar Al Bashir sollte Staatspräsident bleiben,<br />
während der Führer der SPLA/M, John Garang,<br />
Vizepräsident mit einem Vetorecht gegenüber den<br />
Entscheidungen des Präsidenten werden sollte. Eine<br />
gemeinsame Regierung wurde gebildet und binnen<br />
sechs Monaten erstellte eine Verfassungskommission<br />
einen neuen Verfassungsentwurf, den ersten seit der<br />
Unabhängigkeit.<br />
Erst nach der Wiederwahl des US-Präsidenten George<br />
Bush im November 2004 war das sudanesische Regime<br />
zu einem endgültigen Kompromiss bereit. Inzwischen<br />
hatte sich auch die gänzlich muslimische Region<br />
Darfur im Westsudan gegen die Zentralregierung<br />
aufgelehnt. Dieser noch andauernde Krieg mit bisher<br />
rund 200.000 Opfern beweist, dass der Konflikt im<br />
Sudan nicht in erster Linie ein religiöser Konflikt ist,<br />
sondern darauf zurückzuführen ist, dass eine relativ<br />
kleine arabische Machtelite im Niltal das gesamte<br />
Land unter ihrer Herrschaft behalten möchte. Darauf<br />
deutet auch die wachsende politische Unruhe in der<br />
ausschließlich arabischen Provinz Kordofan, in den<br />
Regionen des Blauen Nils, im südlichen Kordofan und<br />
in den Nuba-Bergen im Ost-Sudan hin.<br />
Das am 9. Januar 2005 in Nairobi unterzeichnete<br />
„Umfassende Friedensabkommen“ (Comprehensive<br />
Peace Treaty, CPT) beendete einen 19 Jahre<br />
dauernden kriegerischen Konflikt mit gut 1,5 Millionen<br />
Toten, 4 Millionen Binnenflüchtlingen und 600.000<br />
Südsudanesen, die in die Nachbarstaaten geflüchtet<br />
sind. Die komplexen Verhandlungen hatten 30 Monate<br />
gedauert. Offen blieb zunächst die Frage, wie die<br />
politische Opposition sowohl im Süden wie im Norden<br />
in den Friedensprozess einbezogen und das CPT<br />
konkret umgesetzt wird.<br />
Das CPT sieht die Möglichkeit vor, im Südsudan<br />
2011 ein Referendum über die Unabhängigkeit<br />
abzuhalten, was auch geschehen ist. 2007 wurde<br />
eine Volkszählung durchgeführt und 2008 die ersten<br />
Parlamentswahlen abgehalten. Getrennte autonome<br />
Regionalverwaltungen sollen in Abyei, in den Nuba-<br />
Bergen und im südlichen Teil der Provinz des Blauen<br />
Nil eingerichtet werden. Die Bevölkerung dieser<br />
Provinzen ist ethnisch und religiös gemischt, Araber,<br />
Schwarzafrikaner, Christen, Muslime und animistische<br />
Religionen. Während des Kriegs waren diese Regionen<br />
von der SPLA kontrolliert worden.<br />
Die größten Mängel dieses komplexen Abkommens<br />
liegen in den Verhandlungspartnern selbst. Das<br />
heutige Regime in Khartum entwickelte sich aus einem<br />
Militärputsch der „Nationalen Islamischen Front“<br />
(NIF), die 1986 nur 7% der Stimmen auf sich vereinen<br />
konnte. Heute repräsentiert die NIF gerade 10-15%<br />
der Wählerschaft des Sudan. Auf der anderen Seite<br />
kontrolliert die SPLA/M bei weitem nicht den gesamten<br />
Südsudan, sondern auch andere südsudanesische<br />
Parteien haben lokal eine gewisse Macht. Darüber<br />
hinaus gibt es verschiedene von der SPLA unabhängige<br />
und mit ihr rivalisierende Milizen. Die SPLA rekrutiert<br />
ihre Soldaten vor allem aus dem Volk der Dinka, die<br />
in anderen, vor allem von Nuer bewohnten Regionen<br />
nicht gerne als Machthaber akzeptiert werden. Die<br />
Signatarmächte des CPT repräsentieren insgesamt<br />
höchstens 30% der Bevölkerung.<br />
Ein weiteres Hindernis <strong>für</strong> die Umsetzung des<br />
Friedensabkommens ist der andauernde blutige<br />
Konflikt in Darfur. In dieser wüstenhaften Region im<br />
Westsudan an der Grenze zum Tschad und zu Libyen<br />
war die völlig muslimische Bevölkerung aus Arabern<br />
und Schwarzafrikanern von den Regimes in Khartum<br />
seit Beginn des Kriegs 1983 vernachlässigt worden.<br />
Politisch und ökonomisch war der Darfur genauso<br />
diskriminiert worden wie der Süden. Als 2002 beim<br />
Durchbruch bei den Nord-Süd-Verhandlungen die<br />
politischen Kräfte des Darfur mitbekamen, dass<br />
gewaltsamer Widerstand die Regierung zur Achtung der<br />
Grundrechte der Minderheitenvölker und Minderheiten<br />
bewogen hatte, starteten Rebellengruppen Angriffe<br />
in der Hoffnung, ebenfalls zum Verhandlungstisch<br />
geladen zu werden. Dies war eine bittere Illusion.<br />
Weitere Fragen tauchten in Zusammenhang mit<br />
der Umsetzung des Abkommens auf: werden die<br />
Ölvorkommen transparent verwaltet und wird der<br />
Südsudan seinen zustehenden Anteil erhalten?<br />
Wird die SPLA/M ihrerseits imstande sein, alle<br />
Regierungsverantwortung in der gemeinsamen<br />
Regierung der nationalen Einheit zu übernehmen?<br />
Wird der militärische Arm der SPLA/M die lange Zeit<br />
bis 2011 überstehen? Wird der tiefe Riss zwischen<br />
dem reichen, arabischen Norden und dem armen,<br />
verwüsteten Süden überbrückt werden können?<br />
4.5.4 Die transitorische Autonomie des<br />
Südsudan<br />
Das CPT war insofern ein Kompromiss, als die SPLA/M<br />
auf die sofortige Loslösung des Südens verzichtete