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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

Staaten wie China dagegen werden die politischen<br />

Entscheidungen nur von zentral ernannten politischen<br />

Kadern getroffen, die weder frei gewählt, noch vom<br />

Zentralstaat unabhängig sind. Sie sind der lokalen<br />

Ableger der zentralen Staatsmacht verantwortlich,<br />

oder der Einheitspartei, doch nicht der Wählerschaft<br />

der autonomen Region, die offiziell gar als solche<br />

bezeichnet wird. In solchen Fällen gibt es eigentlich<br />

keine “territoriale Gewaltenteilung zwischen<br />

Zentralstaat und autonomer Region”, sondern bloß<br />

eine Arbeits- und Aufgabenteilung zwischen der<br />

zentralen und der peripheren Ebene der alleine<br />

regierenden Staatsmacht oder staatstragenden<br />

Partei. Doch Machtteilung zwischen Parteibossen im<br />

Zentrum und den ernannten Parteibossen oder formell<br />

“autonomen” Region ist nicht gleichbedeutend mit<br />

einem “modernen Autonomiesystem”. 119<br />

Nun gibt es bezüglich dieses Schlüsselelements einer<br />

funktionierenden Demokratie <strong>für</strong> eine autonome Region<br />

auch Grauzonen. Das Kriterium der lokalen Wahl der<br />

politischen Vertreter würde es nämlich erfordern, dass<br />

auch die Exekutive der Territorialautonomie entweder<br />

direkt vom Volk gewählt wird, oder von der gewählten<br />

Regionalversammlung. Wenn der Chef der autonomen<br />

Exekutive von der Zentralregierung ernannt wird, wird<br />

die Unabhängigkeit in der Umsetzung der autonomen<br />

Gesetzgebungshoheit sehr fragwürdig. In einigen<br />

Fällen wie etwa dr Autonomie der Insel Man ist die<br />

Ernennung des Chefs der Exekutive eine altgewohnte<br />

Praxis, die mit dem demokratischen Selbstverständnis<br />

der Bewohner kaum in Widerspruch steht. Theoretisch<br />

muss geklärt sein, wem gegenüber die Exekutive<br />

politisch verantwortlich und loyal zu sein hat. Die<br />

Insel Jeju, eine Provinz mit Sonderstatut Südkoreas,<br />

kann nicht als modernes Autonomiesystem eingestuft<br />

werden, weil nicht nur die Exekutive, sondern die<br />

gesamte Gesetzgebende Versammlung nicht in Jeju,<br />

sondern von der Zentralregierung ernannt wird,<br />

obwohl Südkorea ansonsten ein demokratischer Staat<br />

ist. 120<br />

In einigen anderen Ländern mit Regionen, die offiziell<br />

als autonome geführt werden, werden zwar Wahlen<br />

abgehalten, doch politische Grundrechte und faire und<br />

119 Es muss jedoch festgehalten werden, dass die bloße Erfüllung<br />

eines Mindeststandards demokratischer Grundregeln, z.B. freie und<br />

faire Wahlen, nicht etwa gleichbedeutend ist mit einer „guten Regierungsführung“<br />

und einem politischen System.mit akzeptablem Output.<br />

Bei der Bestimmung des Vorhandenseins von echter Autonomie<br />

ist jedoch eine demokratische Verfassung und Praxis entscheidend.<br />

120 „Viele Wissenschaftler haben bestimmte nicht-verhandelbare<br />

Bedingungen bei der Bestimmung von ‚echter Autonomie‘,<br />

bemerkt M. Tkacik, „Hannum etwa die lokal gewählte gesetzgebende<br />

Versammlung, eine lokal bestimmte Exekutive und<br />

eine unabhängige Gerichtsbarkeit.“ Vgl. Tkacik (2008), S. 372<br />

korrekte Verfahren werden nicht eingehalten. Nicht<br />

nur die Volksrepublik China (mit ihren 5 autonomen<br />

Provinzen und weiteren autonomen Gebieten) 121<br />

erfüllt dieses Kriterium nicht, sondern auch Usbekistan<br />

mit Karakalpakstan, eine autonome Provinz schon<br />

zu Sowjetzeiten, und Tadschikistan mit Gorno-<br />

Badakhshan. 122 Einen Grenzfall bildet Aserbaidschan<br />

mit der autonomen Region Nachitschewan, wo<br />

internationale NROs und Institutionen wie etwa der<br />

die letzten Parlamentswahlen als nicht frei und fair<br />

betrachten. Die volle Einhaltung demokratischer<br />

Spielregeln in diesem Land auf nationaler und<br />

regionaler Ebene würden es auch Nakhitschevan<br />

erlauben, als echte regionale Autonomie „anerkannt“<br />

zu werden. Auch „Azad Jammu and Kashmir“ in Pakistan<br />

ist kein autonomer Staat, da sowohl auf regionaler<br />

wie nationaler Ebene demokratische Standards nicht<br />

eingehalten werden.<br />

In Indonesien hingegen könne beide Formen beobachtet<br />

werden: eine funktionierendes Autonomiesystem in<br />

der Provinz Aceh, hingegen Pseudoautonomien in<br />

den Provinzen Papua und West-Papua (früher Irian<br />

Jaya), die von der indigenen Bevölkerungsmehrheit<br />

abgelehnt werden, also demokratisch nicht legitimiert<br />

sind, und keine freien und fairen Wahlen zu<br />

Regionalversammlungen abgehalten werden.<br />

d) Gleichheit der bürgerlichen Rechte und<br />

Staatsbürgerrechte<br />

Das vierte Bestimmungskriterium einer<br />

Territorialautonomie bezieht sich auf die Gleichheit<br />

aller Bürger, die legal in der fraglichen autonomen<br />

Region ansässig sind. Dieses Kriterium wird genötigt,<br />

um moderne <strong>Autonomiesysteme</strong> von ethnischen<br />

Autonomien oder Reservaten abzugrenzen. Mit<br />

anderen Worten: das Reservat eines indigenen<br />

Volks – es gibt davon mehr als tausend in Nordund<br />

Südamerika, also weitaus mehr als autonome<br />

Regionen oder abhängige Gebiete weltweit – werden<br />

<strong>für</strong> die indigene Titular-Ethnie eingerichtet und von<br />

diesem geführt.In diesen Reservaten leben jedoch<br />

nicht nur Angehörige der Titular-Ethnie, sondern<br />

auch andre Staatsbürger. Diese sind nicht berechtigt,<br />

an den Wahlen <strong>für</strong> die Reservatsverwaltung oder<br />

Stammesführung teilzunehmen. Auf der anderen Seite<br />

nehmen die Angehörigen dieser indigenen <strong>Völker</strong> i.d.R.<br />

nicht an den nationalen bzw. Staatsweiten Wahlen teil<br />

und sind somit an der politischen Willensbildung im<br />

Gesamtstaat nicht beteiligt. Obwohl Bürger desselben<br />

121 Dennoch wird sich der Exkurs II des Abschnitts 3 mit Formen<br />

von Territorialautonomie in China befassen.<br />

122 Vgl. www.eurasianet.org und http://www.iwpr.net/index.pl

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