Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
4.6 Autonomie-ähnliche<br />
Arrangements territorialer<br />
Gewaltenteilung<br />
Wenn man als Forscher die politische Landkarte der<br />
mindestens 195 Staaten der Erde in Augenschein<br />
nimmt, lassen sich verschiedene Formen territorialer<br />
Gewaltenteilung verzeichnen, die bisweilen offiziell<br />
als „Autonomie“ bezeichnet werden. Abgesehen<br />
von offenkundig autoritären Staaten wie China<br />
und Myanmar muss in Staaten mit mangelhafter<br />
Demokratie bzw. „hybriden Staatsformen“ genau<br />
analysiert werden, ob solche Arrangements der<br />
Gewaltenteilung den Kriterien <strong>für</strong> Territorialautonomie<br />
laut Kapitel 2.10 entsprechen. Im Folgenden werden<br />
einige typische Fälle von territorialer Gewaltenteilung<br />
kurz vorgestellt, die zwar auch offiziell angesichts<br />
bestimmter Merkmale als “Selbstregierung” oder<br />
Selbstverwaltung bezeichnet werden, anhand der<br />
in diesem Ansatz verwendeten Kriterien jedoch<br />
nicht als „modernes Autonomiesystem“ bzw. echte<br />
Territorialautonomie klassifiziert werden können.<br />
4.6.1 Bangladesh: Pseudo-Autonomie in den<br />
Chittagong Hill Tracts (CHT)<br />
Die Eingliederung der CHT in den Staat Bangladesh<br />
und vorher in den Staat Pakistan ist ein Erbe des<br />
britischen Kolonialismus. Die indigenen <strong>Völker</strong> dieses<br />
Gebiets haben weit weniger ethnisch-kulturelle und<br />
religiöse Gemeinsamkeiten mit den Bengalen und<br />
insbesondere mit Pakistan als etwa China mit Tibet.<br />
Jahrhunderte lang waren die CHT nur von 13 indigenen<br />
<strong>Völker</strong>n besiedelt, die im 19. Jahrhundert unterworfen,<br />
ihrer Selbstregierung beraubt, und kolonisiert<br />
wurden. Die forcierte Assimilation führte schließlich<br />
zum bewaffneten Konflikt. Bereits unter britischer<br />
Herrschaft hatten die CHT eine Art von Autonomie<br />
im Sinne einer begrenzten Selbstverwaltung inne,<br />
die vom britischen Vizekönig beaufsichtigt wurde.<br />
Später wurden die CHT wie zahlreiche andere Gebiete<br />
im Nordosten Indiens zur “excluded area”, einer<br />
Art Reservat, das nicht-indigene Personen nicht<br />
betreten durften. Grenzregelungen <strong>für</strong> diese Gebiete,<br />
ihre Befreiung vom Geltungsbereich der britischen<br />
Justiz, die Anwendung des Gewohnheitsrechts beim<br />
Landrecht und die Anerkennung der lokalen Häuptlinge<br />
und ihrer Befugnisse gehörten zur kolonialen<br />
Verwaltungspraxis in diesen vormals zum Großteil zu<br />
Assam gehörenden Gebieten.<br />
Nach der Teilung Pakistans und der Entstehung<br />
Bangladeshs 1971 wurde in die Verfassung von<br />
Bangladesh kein Passus zur Anerkennung der ethnischen<br />
Minderheiten eingefügt. Vielmehr wurde Bangladesh<br />
zum Einheitsstaat erklärt. Zwar verpflichtet Art. 23<br />
der Verfassung den Staat zur Erhaltung der kulturellen<br />
Traditionen und des kulturellen Erbes der Minderheiten,<br />
doch nur mit dem Oberziel, “die nationale Kultur zu<br />
bereichern”. Der Islam und die bengalische Sprache<br />
sind die Grundwerte dieses Staats, der nur in wenigen<br />
Ausnahmen die Rechte und Identität von Minderheiten<br />
anerkennt. Das Konzept der Territorialautonomie blieb<br />
der Rechtsordnung von Bangladesh fremd bis zum<br />
Zeitpunkt, als eine Lösung <strong>für</strong> den Konflikt mit den<br />
indigenen <strong>Völker</strong>n der CHT gefunden werden musste.<br />
Als die gewählten Vertreter der CHT 1973, also gleich<br />
nach der Unabhängigkeit Bangladeshs, Autonomie und<br />
einen Stopp des Zustroms neuer bengalischer Siedler<br />
forderten, lehnte der Staatschef Scheich Mujibur<br />
Rahman dies rundweg ab. Nach vielen Jahren des<br />
Eindringens bengalischer Siedler, der Abholzung der<br />
Wälder, der Enteignung und Vertreibung der indigenen<br />
ethnischen Gruppen, gingen diese zum bewaffneten<br />
Widerstand über. Die Regierung von Bangladesh<br />
reagierte nicht nur mit massiver militärischer<br />
Repression, sondern forcierte ihre Siedlungspolitik,<br />
wodurch sich die Zusammensetzung der Bevölkerung<br />
der CHT drastisch änderte. Lag 1947 der Anteil der<br />
bengalischen Siedler noch bei weniger als 10% der<br />
Gesamtbevölkerung der CHT, stieg er bis heute auf<br />
mehr als 50%. 1997 schloss die Regierung in Dhaka