Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
76<br />
<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
italienische Verfassungsgericht zu bringen, stellt dieses<br />
Verfahren eine wichtige Garantie <strong>für</strong> die Autonomie<br />
Südtirols im italienischen Rechtssystem dar.<br />
Der 20-jährige Verhandlungsprozess (1972-1992) zur<br />
Umsetzung der Autonomie war in die guten bilateralen<br />
Beziehungen zwischen Italien und der „Schutzmacht“<br />
Österreich eingebettet, was entscheidend dazu<br />
beitrug, Italien zu einem zufriedenstellenden<br />
Verhandlungsabschluss zu bringen. Auch das<br />
Erfordernis einer formellen Streitbeilegungserklärung,<br />
die von Österreich nach Abschluss der Umsetzung<br />
der Autonomie abgegeben werden musste, bildete<br />
<strong>für</strong> Italien einen wichtigen Anreiz, seine vertraglichen<br />
Pflichten zu erfüllen.<br />
Somit griffen in der erfolgreichen Konfliktlösung<br />
verschiedene Elemente positiv ineinander: die<br />
Vertreter der Minderheit, die fast ausschließlich<br />
einer einzigen Partei angehörten, der SVP, und die<br />
Vertreter des italienischen Staates, die Vertreter der<br />
italienischen Sprachgruppe in Südtirol und Österreich<br />
als Schutzmacht fanden zusammen im gemeinsamen<br />
Interesse, den Autonomieprozess voranzutreiben. Der<br />
Prozess wurde langfristig angelegt und das letzte Glied<br />
– die Anwendung der Autonomie – war Hauptthema.<br />
Zusätzlich bot der Prozess auch genügend Flexibilität<br />
zur Anpassung von Normen an veränderte Bedingungen<br />
und ermöglicht den kontinuierlichen weiteren Ausbau<br />
der Autonomie.<br />
Dieses schrittweise Vorgehen ermöglichte die<br />
Konsolidierung des friedlichen Zusammenlebens<br />
zwischen den ethnischen Gruppen. Bereits zu Beginn<br />
erforderte das Autonomiestatut Zusammenarbeit<br />
und Kontakte zwischen den Gruppen. Während<br />
in der Vergangenheit die Betonung vor allem auf<br />
dem Minderheitenschutz lag, gibt es heute die<br />
Möglichkeit einer flexiblen und funktionsgerechten<br />
Interpretation, die vor allem auf das Territorialprinzip<br />
abstellt, oder besser gesagt, der „gemeinsamen<br />
Regierungsfähigkeit“. Diese Kombination des<br />
Minderheitenschutzes (Personen und Gruppen)<br />
mit dem Prinzip der Territorialität führten zu einem<br />
einzigartigen institutio-nellen Gleichgewicht zwischen<br />
den Prinzipien der Segregation und Integration der<br />
beiden größeren Volksgruppen. 134<br />
Was <strong>für</strong> andere Minderheitenkonflikte besonders<br />
relevant ist, ist der Prozess der Deeskalation des<br />
Konflikts unter internationaler Vermittlung. Der Konflikt<br />
wurde transformiert und führte zu einer friedlichen<br />
134 Diese Prinzipien werden theoretisch ausgeleuchtet von<br />
Joseph Marko (1995), Autonomie und Integration, Rechtsinstitute<br />
des Nationalitätenrechts im funktionalen Vergleich, Böhlau, Wien<br />
und stabilen Lage in der Region mit konkretem Erfolg.<br />
Die einzelnen Verfahrenselemente können auch <strong>für</strong><br />
Konfliktlösungen in anderen Konflikten von Interesse<br />
sein: ein Operationskalender mit genauem Zeitrahmen,<br />
die institutionalisierte Verhandlung in speziellen<br />
gemischten Kommissionen, ein spezielles Verfahren<br />
<strong>für</strong> die Ausarbeitung der Normen zur Umsetzung der<br />
Autonomie, die nicht einseitig vom Staat geändert<br />
werden können und schließlich die internationalen<br />
Garantien.<br />
3.1.5 Die Wirkungen der Autonomie<br />
Nach dieser kurzen Vorstellung der Grundaspekte der<br />
Südtiroler Autonomie, wie sie in voller Ausprägung seit<br />
1992 in Kraft sind, lassen sich einige der wichtigsten<br />
Auswirkungen der Autonomie herausschälen:<br />
1) Die Wiederherstellung der kulturellen und sozialen<br />
Position der deutschen und ladinischen Südtiroler<br />
Vor Verabschiedung des 2. Autonomiestatuts<br />
befanden sich die deutschen und ladinischen Südtirol<br />
in einer kritischen Lage. Die Provinz Bozen litt unter<br />
schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen<br />
Problemen, die auf regionaler bzw. Landesebene nicht<br />
angegangen werden konnten. Vieles war zu tun, um<br />
die kulturelle Identität zu erhalten. Die italienische<br />
politische Elite hatte wenig Verständnis <strong>für</strong> diese<br />
Probleme und brandmarkte die Südtiroler als verkappte<br />
Nazis, wobei die eigene faschistische Vergangenheit<br />
und der Umgang mit den eigenen ethnischen und<br />
religiösen Minderheiten nicht aufgearbeitet wurde.<br />
Unter den deutschsprachigen Südtirolern breitete<br />
sich wieder die Forderung nach Selbstbestimmung<br />
aus. Mehr als 35 Jahre nach Inkrafttreten des 2.<br />
Autonomiestatuts hat sich die Lage grundlegend<br />
gewandelt. Obwohl die Region Trentino-Südtirol de jure<br />
weiter besteht, ist das Land Südtirol (und das Trentino)<br />
das Herzstück des Autonomiesystems. Die deutsche<br />
und ladinische Minderheit sind nicht mehr Fremde im<br />
eigenen Land.<br />
2) Wirtschaftlicher und sozialer Wohlstand<br />
Gestützt durch eine ausgewogene Wirtschaftsstruktur<br />
und dank einer günstigen geographischen Lage<br />
innerhalb der EU, nämlich zwischen den dynamischsten<br />
Industrieregionen Zentraleuropas (Süddeutsch-land<br />
und Norditalien) entwickelt sich Südtirols Wirtschaft<br />
mit einer Wachstumsrate des BIP, die konstant über<br />
dem gesamtitalienischen Durchschnitt liegt. Seine<br />
Arbeitslosenrate gehört zu den niedrigsten in ganz<br />
Europa. Das Land zieht jährlich Millionen Touristen vor