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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />

italienische Verfassungsgericht zu bringen, stellt dieses<br />

Verfahren eine wichtige Garantie <strong>für</strong> die Autonomie<br />

Südtirols im italienischen Rechtssystem dar.<br />

Der 20-jährige Verhandlungsprozess (1972-1992) zur<br />

Umsetzung der Autonomie war in die guten bilateralen<br />

Beziehungen zwischen Italien und der „Schutzmacht“<br />

Österreich eingebettet, was entscheidend dazu<br />

beitrug, Italien zu einem zufriedenstellenden<br />

Verhandlungsabschluss zu bringen. Auch das<br />

Erfordernis einer formellen Streitbeilegungserklärung,<br />

die von Österreich nach Abschluss der Umsetzung<br />

der Autonomie abgegeben werden musste, bildete<br />

<strong>für</strong> Italien einen wichtigen Anreiz, seine vertraglichen<br />

Pflichten zu erfüllen.<br />

Somit griffen in der erfolgreichen Konfliktlösung<br />

verschiedene Elemente positiv ineinander: die<br />

Vertreter der Minderheit, die fast ausschließlich<br />

einer einzigen Partei angehörten, der SVP, und die<br />

Vertreter des italienischen Staates, die Vertreter der<br />

italienischen Sprachgruppe in Südtirol und Österreich<br />

als Schutzmacht fanden zusammen im gemeinsamen<br />

Interesse, den Autonomieprozess voranzutreiben. Der<br />

Prozess wurde langfristig angelegt und das letzte Glied<br />

– die Anwendung der Autonomie – war Hauptthema.<br />

Zusätzlich bot der Prozess auch genügend Flexibilität<br />

zur Anpassung von Normen an veränderte Bedingungen<br />

und ermöglicht den kontinuierlichen weiteren Ausbau<br />

der Autonomie.<br />

Dieses schrittweise Vorgehen ermöglichte die<br />

Konsolidierung des friedlichen Zusammenlebens<br />

zwischen den ethnischen Gruppen. Bereits zu Beginn<br />

erforderte das Autonomiestatut Zusammenarbeit<br />

und Kontakte zwischen den Gruppen. Während<br />

in der Vergangenheit die Betonung vor allem auf<br />

dem Minderheitenschutz lag, gibt es heute die<br />

Möglichkeit einer flexiblen und funktionsgerechten<br />

Interpretation, die vor allem auf das Territorialprinzip<br />

abstellt, oder besser gesagt, der „gemeinsamen<br />

Regierungsfähigkeit“. Diese Kombination des<br />

Minderheitenschutzes (Personen und Gruppen)<br />

mit dem Prinzip der Territorialität führten zu einem<br />

einzigartigen institutio-nellen Gleichgewicht zwischen<br />

den Prinzipien der Segregation und Integration der<br />

beiden größeren Volksgruppen. 134<br />

Was <strong>für</strong> andere Minderheitenkonflikte besonders<br />

relevant ist, ist der Prozess der Deeskalation des<br />

Konflikts unter internationaler Vermittlung. Der Konflikt<br />

wurde transformiert und führte zu einer friedlichen<br />

134 Diese Prinzipien werden theoretisch ausgeleuchtet von<br />

Joseph Marko (1995), Autonomie und Integration, Rechtsinstitute<br />

des Nationalitätenrechts im funktionalen Vergleich, Böhlau, Wien<br />

und stabilen Lage in der Region mit konkretem Erfolg.<br />

Die einzelnen Verfahrenselemente können auch <strong>für</strong><br />

Konfliktlösungen in anderen Konflikten von Interesse<br />

sein: ein Operationskalender mit genauem Zeitrahmen,<br />

die institutionalisierte Verhandlung in speziellen<br />

gemischten Kommissionen, ein spezielles Verfahren<br />

<strong>für</strong> die Ausarbeitung der Normen zur Umsetzung der<br />

Autonomie, die nicht einseitig vom Staat geändert<br />

werden können und schließlich die internationalen<br />

Garantien.<br />

3.1.5 Die Wirkungen der Autonomie<br />

Nach dieser kurzen Vorstellung der Grundaspekte der<br />

Südtiroler Autonomie, wie sie in voller Ausprägung seit<br />

1992 in Kraft sind, lassen sich einige der wichtigsten<br />

Auswirkungen der Autonomie herausschälen:<br />

1) Die Wiederherstellung der kulturellen und sozialen<br />

Position der deutschen und ladinischen Südtiroler<br />

Vor Verabschiedung des 2. Autonomiestatuts<br />

befanden sich die deutschen und ladinischen Südtirol<br />

in einer kritischen Lage. Die Provinz Bozen litt unter<br />

schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen<br />

Problemen, die auf regionaler bzw. Landesebene nicht<br />

angegangen werden konnten. Vieles war zu tun, um<br />

die kulturelle Identität zu erhalten. Die italienische<br />

politische Elite hatte wenig Verständnis <strong>für</strong> diese<br />

Probleme und brandmarkte die Südtiroler als verkappte<br />

Nazis, wobei die eigene faschistische Vergangenheit<br />

und der Umgang mit den eigenen ethnischen und<br />

religiösen Minderheiten nicht aufgearbeitet wurde.<br />

Unter den deutschsprachigen Südtirolern breitete<br />

sich wieder die Forderung nach Selbstbestimmung<br />

aus. Mehr als 35 Jahre nach Inkrafttreten des 2.<br />

Autonomiestatuts hat sich die Lage grundlegend<br />

gewandelt. Obwohl die Region Trentino-Südtirol de jure<br />

weiter besteht, ist das Land Südtirol (und das Trentino)<br />

das Herzstück des Autonomiesystems. Die deutsche<br />

und ladinische Minderheit sind nicht mehr Fremde im<br />

eigenen Land.<br />

2) Wirtschaftlicher und sozialer Wohlstand<br />

Gestützt durch eine ausgewogene Wirtschaftsstruktur<br />

und dank einer günstigen geographischen Lage<br />

innerhalb der EU, nämlich zwischen den dynamischsten<br />

Industrieregionen Zentraleuropas (Süddeutsch-land<br />

und Norditalien) entwickelt sich Südtirols Wirtschaft<br />

mit einer Wachstumsrate des BIP, die konstant über<br />

dem gesamtitalienischen Durchschnitt liegt. Seine<br />

Arbeitslosenrate gehört zu den niedrigsten in ganz<br />

Europa. Das Land zieht jährlich Millionen Touristen vor

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