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Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker

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4 Besondere Formen 5 Schlussfolgerungen<br />

von Autonomie<br />

Vertretung ihrer Interessen zu organisieren sowie mit<br />

Unterstützung der Bevölkerung eine starke Bewegung<br />

<strong>für</strong> Autonomie zustande zu bringen. In keinem Fall ist<br />

Autonomie aus bloßer Großzügigkeit oder „Weisheit“<br />

eines Zentralstaats heraus gewährt worden,<br />

sondern nur aufgrund politischen Drucks, manchmal<br />

gewaltsamen Widerstands bis hin zum offenen Krieg.<br />

Autonomie in der Form von Regionalautonomie ist<br />

in der Regel nirgendwo geschenkt worden, sondern<br />

musste erkämpft werden.<br />

leben. Noch bedeutender ist die geographische,<br />

periphere Lage, die die Gewährung einer Autonomie<br />

erleichtert. Doch auch die kleine und verstreut lebende<br />

Gruppe der Inuit und Nunavut, musste mehrere<br />

Jahrzehnte verhandeln, bis die Autonomie eingerichtet<br />

werden konnte, ganz zu schweigen von den Kuna in<br />

Panama, die bei ihrem Kampf um Autonomie in den<br />

1920er Jahren nur das Glück hatten, sich gegen einen<br />

verhältnismäßig schwachen Staat durchsetzen zu<br />

müssen.<br />

Der „ethnische Faktor“ als Legitimations-basis einer<br />

Autonomie war bisher die Regel, doch ausnahmsweise<br />

haben auch Regionen, die sich nur geographisch,<br />

historisch oder politisch vom Mutterland abheben,<br />

Autonomie erhalten (z.B. die Azoren und Madeira,<br />

einige spanische Regionen wie Andalusien und die<br />

Kanaren, Sizilien und Friaul-Julisch Venetien in Italien,<br />

einige autonome Regionen Russlands). Der Fall der<br />

drei autonomen Regionen Großbritanniens beweist,<br />

dass Sprache und Ethnizität keine entscheidenden<br />

Faktoren <strong>für</strong> Autonomie sein müssen: obwohl Englisch<br />

in allen drei Regionen – Schottland, Nordirland und in<br />

geringerem Ausmaß in Wales – die absolut dominante<br />

Sprache ist, stellt die regionale Geschichte, die<br />

Selbstwahrnehmung der Bevölkerung und die komplexe<br />

politische Beziehung zwischen sozialen Gruppen<br />

mit verschiedenen Identitäten einen gewichtigen<br />

Grund <strong>für</strong> die Lösung des Konflikts durch devolution<br />

dar, nämlich der Übertragung von Kompetenzen an<br />

autonome Regionen.<br />

Territorialautonomie ist in Anbetracht der heutigen<br />

<strong>Autonomiesysteme</strong> jedenfalls das weitestreichende<br />

Konzept des Minderhei-tenschutzes. Eine wachsende<br />

Zahl von nationalen Minderheiten und Minderheitenvölkern<br />

hat erfahren, dass keine absolute<br />

Notwendigkeit der Gründung eines eigenen Staats<br />

oder des Anschlusses an einen anderen Staats besteht,<br />

sofern Territorialautonomie ausreichend Gewähr <strong>für</strong><br />

die Erhaltung der Identität und der kollektiven Rechte<br />

einer Gruppe bietet.<br />

Das zahlenmäßige Gewicht einer solchen Gruppe oder<br />

eines Volks ist bedeutend, aber nicht entscheidend.<br />

Gemessen an der Bevölkerungszahl gibt es einen<br />

erheblichen Unterschied zwischen den größeren<br />

autonomen Regionen, wie z.B. Katalonien (7,5 Millionen<br />

Einwohner), Sizilien, Schottland und Aceh (zwischen<br />

4 und 5 Millionen) und den kleinsten autonomen<br />

Regionen, den Nordischen Inseln Grönland, Färöer und<br />

Åland (zwischen 27.000 und 56.000), der Comarca Kuna<br />

Yala (47.000) und Nunavut, wo nur 30.000 Menschen<br />

Eine weitere, durch die bisherige Erfahrung belegte<br />

Grundvoraussetzung ist die kompakte Siedlungsweise<br />

eines Minderheitenvolks oder einer nationalen<br />

Minderheit auf seinem angestammten Gebiet.<br />

Minderheiten, die über mehrere Regionen oder<br />

Gebietseinheiten verstreut leben, können sich auf<br />

politischer Ebene schwerlich organisieren. Auch kann<br />

Autonomie einer Minderheit wenig Nutzen stiften,<br />

deren Angehörige zu einem guten Teil außerhalb des<br />

autonomen Gebiets leben oder keine stabile Mehrheit<br />

innerhalb der autonomen Region bilden. Dies stellt<br />

ein größeres Problem in einigen Föderationssubjekten<br />

Russlands dar, worin die betroffene Titularminderheit<br />

keine Mehrheit bildet, sondern die Russen, und viele<br />

Angehörige dieser nationalen Minderheit (in machen<br />

Fällen sogar die Mehrheit kleiner <strong>Völker</strong>) verstreut leben.<br />

Das Konzept der Territorialautonomie darf aber weder<br />

mit „ethnischer Autonomie“ im Sinne der Reservate<br />

verwechselt werden noch mit Kulturautonomie, das<br />

keine territoriale Machtübertragung vom Zentralstaat<br />

voraussetzt. Es ist jedenfalls eine besondere<br />

Verantwortung <strong>für</strong> Regionalautonomien, den Schutz<br />

der ethnischen Minderheiten zu wahren, auch wenn<br />

diese Minderheiten keine Mehrheiten innerhalb der<br />

autonomen Region bilden.<br />

Dieser Umstand führt zur Frage der Grenzziehung<br />

autonomer Regionen, die notwendigerweise<br />

nach ethnischen Kriterien erfolgen muss, wenn<br />

Minderheitenschutz das Oberziel ist. Doch in der<br />

Realität werden auch historische Entwicklungen und<br />

politische Interessen mitberücksichtigt. Hier stellen<br />

sich zwei Arten von Problemen. Zum ersten haben<br />

Zentralregierungen verschiedentlich versucht, die<br />

Grenzen einer Region zum Nachteil der dort lebenden<br />

nationalen Minderheiten zu ziehen, wodurch den<br />

Angehörigen des Mehrheitsvolks auch eine Mehrheit<br />

auf regionaler Ebene gesichert wurde. 367 Zum zweiten<br />

kann die Erweiterung der autonomen Region zu<br />

367 Das jüngste Beispiel <strong>für</strong> einen akuten Konflikt aufgrund einer<br />

derartigen Politik findet sich derzeit in der indonesischen Provinz<br />

Westpapua (Irian Jaya).<br />

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