Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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222<br />
<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
offener Hafen und ein eigenes Zollgebiet mit eigener<br />
Währung. Das Grundgesetz hält fest, dass freier<br />
Kapitalfluss gewährt wird und China in Hong Kong<br />
keine Steuern einheben darf. Die Regierung von Hong<br />
Kong bleibt <strong>für</strong> die öffentliche Ordnung verantwortlich,<br />
während die Volksbefreiungsarmee nur <strong>für</strong> die äußere<br />
Verteidigung in Hong Kong stationiert wird.<br />
Der Volkskongress der VR China ist als einzige<br />
Institution befugt, das Grundgesetz von Hong Kong<br />
zu interpretieren und abzuändern. Dieses Recht steht<br />
weder dem Parlament noch den Bürgern Hong Kongs<br />
zu. Hong Kong wird im Nationalen Volkskongress durch<br />
35 Abgeordnete vertreten, die allesamt von Peking<br />
ausgewählt werden. Die Regierung von Hong Kong ist nur<br />
der Zentralen Volksregierung Rechenschaft schuldig.<br />
Dennoch hat China mehrfach in die Freiheitssphäre<br />
des autonomen Hong Kong eingegriffen, als z.B.<br />
das Demonstrations-recht rückwirkend abgeändert<br />
wurde und Demonstrationen von der Regierung<br />
unmittelbar genehmigt werden müssen. China hat<br />
weitere Einschränkungen der Versammlungsfreiheit<br />
angekündigt, wobei Parteien, die laut Peking die<br />
innere Sicherheit gefährden, verboten werden können.<br />
Mit „Anti-Subversionsgesetzen“ soll zu starker Kritik<br />
an der chinesischen Regierung vorgebeugt werden.<br />
Die Meinungsfreiheit kann aus sehr vage benannten<br />
Gründen der nationalen Sicherheit eingeschränkt<br />
werden. 352<br />
Ist Hong Kong ein Beispiel einer echten Autonomie, die<br />
auch auf andere Gebiete angewandt werden könnte,<br />
die von China annektiert worden sind? Nach der<br />
Einrichtung der Hong Kong Sonderverwaltungsregion<br />
1997 (und dasselbe gilt <strong>für</strong> Macau 1999) forderte der<br />
Dalai Lama dasselbe System auch <strong>für</strong> Tibet, indem<br />
nur mehr die Verteidigung und Außenpolitik beim<br />
chinesischen Staat verbleiben sollten, während alle<br />
übrigen Befugnisse mit voller innerer Autonomie von<br />
den Tibetern verwaltet werden sollten.<br />
In Wirklichkeit hat Hong Kong sogar beträchtliche<br />
Kompetenzen auch im außenpolitischen Bereich<br />
erhalten: es behält seine Mitgliedschaft in vielen<br />
internationalen und regionalen Institutionen, es<br />
darf internationale Abkommen abschließen und<br />
hat sogar seine eigene Währung. Hong Kong darf<br />
tatsächlich ein separates System behalten: seine<br />
Wirtschaftsordnung, sein Steuer- und Finanzsystem,<br />
sein Rechts- und Justizwesen basierend auf dem<br />
Zivilgesetz nach britischem Muster, seine bürgerlichen<br />
Dokumente und Deklarationen, , Bonn 1999, S. S.59-90<br />
352 International Committee of Lawyers for Tibet, Forms of Autonomy,<br />
New York 1999, S.221-222<br />
und politischen Freiheiten, seine Staatsbürgerschaft<br />
und Kompetenz <strong>für</strong> Einwanderung. Bei diesem Umfang<br />
an Kompetenzen rückt Hong Kong schon weit näher<br />
zum Status eines assoziierten Staats als zu jenem<br />
einer autonomen Region, wie oben an 22 bestehenden<br />
Beispielen dargestellt. Doch seine Schwäche liegt im<br />
institutionellen Arrangement, das demokratischen<br />
Standards nicht gerecht wird:<br />
„Das interne politische System hat eine starke<br />
Schräglage hin zum Chef der Exekutive, dem<br />
Regierungschef, der über Vetos eine starke Kontrolle<br />
über die Gesetzgebung ausübt, und auch die<br />
Gesetzesinitiative selbst stark beherrscht. Der<br />
Regierungschef wird von der chinesischen Regierung<br />
ernannt und kann vom Legislativorgan Hong Kongs<br />
nicht abgesetzt werden, außer China würde selbst<br />
zustimmen.“ 353<br />
Somit bildet wiederum der Faktor Demokratie das<br />
fehlende Glied in der Kriterienkette, um von echter<br />
Autonomie sprechen zu können.<br />
Auf der anderen Seite kann der Regierungschef auch<br />
nur in sehr begrenzter Weise auf die Auflösung des<br />
Parlaments hinwirken. Die Schwäche des Parlaments<br />
ergibt sich aus seiner nur teilweisen demokratischen<br />
Legitimation. Die Mehrheit seiner Mitglieder<br />
wird durch enge „funktionale Wahlkreise“ oder<br />
Sonderkomitees bestellt. Diese spiegeln vor allem<br />
die Wirtschafts- und Geschäftsinteressen wider, die<br />
ihrerseits China wohlgesonnen halten wollen, um den<br />
Wirtschaftsstandort nicht zu gefährden. Demzufolge<br />
ist die Regierung von Hong Kong weder imstande<br />
noch willens, gegen die chinesische Regierung<br />
aufzustehen und auch die autonomiefreundlicheren<br />
Parlamentsmitglieder sind nicht in der Lage, ihre<br />
Interessen gegenüber China in vollem Umfang zu<br />
verteidigen.<br />
Die Losung „Ein Land, zwei Systeme“ konnte somit nur<br />
aufgrund des Mangels an umfassender Demokratie<br />
in Hong Kong ausgegeben werden, schreibt ein in<br />
Hong Kong lehrender Wissenschaftler. 354 Ein echt<br />
demokratisches System Hong Kong würde nicht in<br />
„Ein Land“ passen, so wie auch Taiwan sich nicht<br />
freiwillig dem kommunistisch regierten China einfügen<br />
will. Dieser Widerspruch rührt vom eigentlichen<br />
Zweck der Autonomie Hong Kongs her, die weder<br />
den Rechten einer ethnischen Minderheit genügen<br />
353 Yash Ghai (2000), Autonomy regimes in China: coping with<br />
ethnic and economic diversity, in Yash Ghai (ed.), Autonomy and<br />
ethnicity: negotiating competing claims in multiethnic states, Hongkong,<br />
S. 93<br />
354 Yash Ghai (2000), S. 94