Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
in Westbengalen (Darjeeling Hill Council, gemäß<br />
Staatsgesetz eingerichtet) und zwei in Jammu und<br />
Kaschmir (Kargil und Leh). Im restlichen Staatsgebiet<br />
sind keine Distriktautonomien eingerichtet worden,<br />
obwohl Indien insgesamt 330 Distrikte zählt. In vielen<br />
dieser Distrikte leben ethnolinguistische Minderheiten<br />
oder indigene <strong>Völker</strong>, 50 von ihnen haben sogar eine<br />
ethnische Mehrheit, die sich von jener des jeweiligen<br />
Gliedstaats unterscheidet.<br />
Doch auch im Nordosten konnten die Forderungen<br />
nach Selbstbestimmung kleinerer <strong>Völker</strong> durch diese<br />
begrenzte Form der Territorialautonomie nicht erfüllt<br />
werden. So etwa im Fall des Volks der Naga, die 1963<br />
einen Bundesstaat Nagaland erhielten, allerdings<br />
nur auf einem kleineren Teil ihrer Siedlungsgebiete.<br />
Der militärische Widerstand <strong>für</strong> Unabhängigkeit<br />
von Indien ging deshalb Jahrzehnte lang weiter. Mit<br />
Distriktautonomie wollen sich auch andere Ethnien des<br />
Nordostens nicht zufrieden geben, die einen eigenen<br />
Bundesstaat anstrebten. Ein solcher wurde schließlich<br />
den Titular-Ethnien von Meghalaya (Khasi und Garo),<br />
Mizorams (Mizo), Arunachal Pradesh (versch. Gruppen)<br />
und Tripura (15 verschiedene Gruppen) zugestanden,<br />
während Darjeeling und Karbi Anlong die “Beförderung”<br />
zum vollen Gliedstaat anstreben.<br />
Indien ist das einzige Land Südasiens mit<br />
funktionierenden regionalen Territorialautonomien,<br />
doch weisen auch diese erhebliche Mängel auf. Die<br />
gemäß 6. Anhang der Verfassung eingerichteten<br />
“Autonomen Bezirksräte” waren ursprünglich als<br />
Lösung ethnischer Konflikte mit Stammesvölkern im<br />
Nordosten Indien sin der Frühzeit der Republik konzipiert<br />
worden. Die Verfassungsväter wollten mit begrenzter<br />
Autonomie eine Aufsplitterung des multiethnischen<br />
Nordostindiens in kleinere Gliedstaaten verhindern<br />
und Selbstbestimmungsforderungen zuvorkommen.<br />
Doch können diese Autonomen Bezirke in ihrer<br />
heutigen Form den politischen Erfordernissen vor<br />
Ort nicht gerecht werden. Das frühere Assam wurde<br />
auf vier Gliedstaaten aufgeteilt (Assam, Meghalaya,<br />
Manipur und Tripura), die allesamt den 6. Anhang der<br />
Verfassung nutzten, um Selbstregierungsforderungen<br />
von kleineren ethnischen Gemeinschaften auf<br />
der substaatlichen Ebene zu erfüllen. Doch der<br />
ethnisch sehr heterogene Nordosten blieb weiter<br />
konfliktbeladen.<br />
Nach verschiedenen gewaltsamen Aufständen<br />
und Guerrillakämpfen seitens “nationaler<br />
Befreiungsfronten mit nachfolgender Repression<br />
durch das indische Militär, erhielten einige der kleinen<br />
<strong>Völker</strong> des Nordostens einen eigenen Gliedstaat (die<br />
Mizos Mizoram, die Nagas Nagaland, die Kahsi und<br />
Garo Meghalaya). In Assam gestand man den Karbi<br />
den autonomen Bezirk Karbi-Anglong zu, den Cachar<br />
North Cachar und den Bodos erst 2003 nach langen,<br />
militärischen Auseinandersetzungen Bodoland.<br />
Auch Tripura und Mizoram mussten Lösungen <strong>für</strong><br />
ihre interne, ethnische Vielfalt und Minderheiten<br />
finden. Es stellte sich jedoch heraus, dass der vom 6.<br />
Anhang der Verfassung gebotene Rechtsrahmen <strong>für</strong><br />
Territorialautonomie nicht ausreichenden Spielraum <strong>für</strong><br />
eine eigenständige Kultur- und Sprachenpolitik bietet,<br />
noch genügend Kompetenzen und Mittel verschafft,<br />
um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung<br />
eines autonomen Bezirks autonom steuern zu<br />
können. Sowohl die Bundesregierung über ihren<br />
Gouverneur, als auch der jeweilige Gliedstaat üben<br />
eine zu starke hierarchische Kontrolle aus. Darüber<br />
hinaus fehlt den Autonomen Bezirken jede finanzielle<br />
Eigenständigkeit.<br />
Über diesen beschränkten Umfang der<br />
Territorialautonomie laut 6. Anhang der Verfassung<br />
hinaus, ergaben sich grobe Mängel in der Qualität<br />
der Demokratie und Regierungsführung (governance)<br />
innerhalb dieser autonomen Bezirke. Oft fühlte sich<br />
die Bevölkerung dieser Bezirke im Nordosten in den<br />
Autonomieprozess überhaupt nicht eingebunden und<br />
die politische Beteiligung der Zivilbevölkerung blieb sehr<br />
gering. Dies ist sowohl auf die schwachen Institutionen,<br />
wie auch auf die von den Eliten dominierten politischen<br />
Verfahren in Indien zurückzuführen.<br />
Die bloße Dezentralisierung der Macht an lokale Eliten<br />
– wie in Darjeeling der Fall – reichte nicht aus. Vielmehr<br />
ergab sich die Notwendigkeit, Vorkehrungen <strong>für</strong> eine<br />
gute Regierungsführung zu schaffen. Dies bedeutete<br />
auch, <strong>für</strong> Transparenz, eine effiziente Verwaltung<br />
und Rechenschaftspflichtigkeit der Politiker der<br />
autonomen Einheit zu sorgen, Minderheitenschutz<br />
und konkordanzdemokratische Verfahren bei<br />
multiethnischen <strong>Gesellschaft</strong>en zu gewährleisten.<br />
Andere Aspekte der Territorialautonomie laut 6.<br />
Anhang der Verfassung erscheinen immer weniger<br />
angemessen <strong>für</strong> eine autonomes Gesetzgebungsund<br />
Entscheidungsverfahren: so etwa die<br />
übermächtige Rolle des Bundesgouverneurs anstatt<br />
die Schlichtung von Kompetenzkonflikten und anderen<br />
Rechtskonflikten zwischen Regierungsebenen der<br />
Gerichtsbarkeit zu überlassen, die starke finanzielle<br />
Abhängigkeit vom jeweiligen Gliedstaat, der Mangel<br />
an eigenen Ressourcen der autonomen Bezirke, keine<br />
Möglichkeiten, eine eigenständige Sprachenpolitik<br />
zu betreiben, der Mangel an fairen Regelungen <strong>für</strong><br />
den öffentlichen Dienst des Autonomen Bezirks und<br />
Formen der Kontrolle der Zuwanderung, die mit den