Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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3 Territorialautonomie am Werk<br />
als eine Übertragung von bloßen Exekutiv-befugnissen<br />
der Londoner Zentralregierung an die Regionen, ohne<br />
jedoch die ausschließliche Gesetzgebungs-kompetenz<br />
des Westminster-Parlaments aufzugeben. Doch bei<br />
echter devolution, so die Regionalisten, musste die<br />
Übertragung von Verwaltungs-befugnissen mit der<br />
Übertragung echter Gesetzgebungs-kompetenzen an<br />
die gewählten Regionalparlamente verknüpft werden.<br />
Aus den unterschiedlichen geschichtlichen und<br />
politischen Werdegängen Schottlands, Wales und<br />
Nordirlands ergaben sich in Großbritannien drei<br />
verschiedene Formen von Regionalautonomie. Im<br />
Rahmen dieser verfassungsrechtlichen Neuordnung<br />
wurde England gar nicht in Betracht gezogen.<br />
Während die Vorschläge <strong>für</strong> Regionalautonomie <strong>für</strong><br />
Schottland, Wales und Nordirland in den betroffenen<br />
Regionen mehrfach Volksabstimmungen unterworfen<br />
wurden, wurde die Bevölkerung Englands nie um<br />
Zustimmung zur devolution an die anderen drei<br />
Regionen befragt. Dies ist auch Folge des Fehlens<br />
einer schriftlichen Verfassung Großbritan-niens und<br />
somit des Fehlens spezieller Verfahrensregeln bei<br />
der Änderung der Verfassung. Es gibt auch keine<br />
verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Abhaltung<br />
solcher Referenden. Für das britische Parlament waren<br />
und sind solche Volksabstimmungen in der Wirkung<br />
auch nicht bindend. Doch gab es eine Menge guter<br />
politischer Gründe <strong>für</strong> die Befragung der Wählerschaft<br />
der betroffenen Regionen, um die nötige Legitimation<br />
<strong>für</strong> den Devolutionsprozess zu sichern.<br />
und verfügte über das Recht auf Eigenständigkeit<br />
in der Lokalverwaltung, der Sozialpolitik und im<br />
Bildungswesen. Schottland behielt immer auch das<br />
Recht auf eine eigene Flagge und Währung, wobei<br />
es letzteres nicht nutzte. Obwohl seit 1707 die<br />
maßgeblichen Belange der Verwaltung Schottlands<br />
zentral von London aus gesteuert wurden und das<br />
zentrale Parlament in Westminster auch <strong>für</strong> Schottland<br />
die einzige Legislative bildete, wurde das getrennte<br />
schottische Rechtssystem als „schottisches Recht“<br />
aufgrund des Unionsvertrags von 1707 beibehalten. Ab<br />
1885 erhielt Schottland seinen eigenen Staatssekretär,<br />
eine Art Minister der britischen Regierung, und ab 1926<br />
einen offiziellen Sitz im Kabinett. Gleichzeitig wurde<br />
ein eigenes Regierungs-ressort <strong>für</strong> diesen Zweck<br />
gegründet, das Scottish Office, mit Sitz in Edinburgh<br />
und London, das schrittweise mehr und mehr<br />
Verwaltungsbefugnisse erhielt. Es hatte die Aufgabe,<br />
die britische Regierungspolitik in den schottischen<br />
Kontext umzusetzen. 163 Überdies verlangte das<br />
getrennte Rechtssystem Schottlands eigene<br />
Durchführungsbestimmungen, die von Westminster<br />
speziell <strong>für</strong> Schottland verabschiedet werden mussten.<br />
Dieses System einer Verwaltungsautonomie sollte<br />
nach außen hin Schottland als eigenständigen, doch<br />
integralen Teil des Königreichs darstellen. Schottland<br />
hatte in der Tat sein eigenes Zivilrecht, sein eigenes<br />
Bildungssystem und eine Rundfunkanstalt, immer<br />
unter Federführung des Scottish Office, obwohl<br />
alle sonst wichtigen Fragen von der Außen- bis zur<br />
Wirtschaftspolitik in London geregelt wurden.<br />
3.3.2 Die Autonomie Schottlands<br />
Bevölkerung (2001) 5.062.011<br />
Fläche 78.782 km 2<br />
Hauptstadt<br />
Edinburgh<br />
Sprachen<br />
Englisch, Scots, Gälisch<br />
Autonomie seit 1998<br />
http://en.wikipedia.org/<br />
Schottland ist ein eigener Staat innerhalb des<br />
Vereinten Königreichs von Großbritannien und<br />
Nordirland. 162 Es nimmt den nördlichsten Teil der<br />
britischen Insel ein und wurde mit dem Unionsvertrag<br />
von 1707 mit England und Wales vereint. Gemäß<br />
diesem Gesetz behielt Schottland ein eigenes<br />
Rechtssystem, eine eigene Kirche, Nationalbank, eine<br />
fixe Quote an Repräsentanten im britischen Parlament<br />
162 International Committee of Lawyers for Tibet, Forms of Autonomy,<br />
New York 1999, S. 450-452<br />
Im Juli 1978 setzte das britische Parlament das<br />
Scotland Bill in Kraft, das ein Referendum über ein<br />
direkt zu wählendes, schottisches Parlament zum<br />
Inhalt hatte. Dieses Referendum wurde gleichzeitig<br />
mit einer Volksabstimmung über die Errichtung einer<br />
Regionalversammlung <strong>für</strong> Wales in Cardiff abgehalten.<br />
Im März 1979 stimmten 33% der schottischen Wähler<br />
<strong>für</strong> Autonomie, doch eine Mindestzustimmung von 40%<br />
war erforderlich, um das Gesetz in Kraft zu setzen. In<br />
Wales stimmten überhaupt nur 20% <strong>für</strong> die devolution<br />
und somit waren vorerst beide Autonomieprojekte<br />
gescheitert.<br />
1987 bildeten schottische und walisische<br />
Parlamentarier eine Allianz, um den Weg zur<br />
Verfassungsreform und damit zu wirtschaftlichen<br />
und sozialen Reformen in Schottland und Wales zu<br />
163 Patricia Leopold (2005), National and regional experiments<br />
with autonomous arrangements, in: Zelim E. Skurbaty (ed.), Beyond<br />
a one-dimensional state: an emerging right to autonomy?, Leiden,<br />
S. 506<br />
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