Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Moderne</strong> <strong>Autonomiesysteme</strong><br />
72<br />
Italien versuchte, diese Verpflichtungen durch das 1.<br />
Autonomiestatut zu erfüllen, das am 31. Januar 1948<br />
noch durch die Verfassunggebende Versammlung<br />
verabschiedet wurde. Doch trotz starker Opposition<br />
der Südtiroler Vertreter wurde diese Autonomie,<br />
die eigentlich gemäß Pariser Vertrag nur <strong>für</strong><br />
Südtirol gelten sollte, auf die italienischsprachige<br />
Nachbarprovinz Trentino ausgedehnt und eine neue<br />
Region „Trentino-Tiroler Etschland“ geschaffen. Diese<br />
Region hatte eine klare italienische Mehrheit und<br />
erhielt weit mehr Macht als die Provinz Bozen, das<br />
eigentliche Minderheitengebiet Südtirol. Die geringen<br />
autonomen Kompetenzen Südtirols konnten so kaum<br />
Wirkungen zeigen, auch weil die entsprechenden<br />
Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut<br />
nicht erlassen wurden. Die Enttäuschung und Ungeduld<br />
der Südtiroler wuchsen rasch.<br />
1957 explodierten die ersten Bomben. Demonstrationen<br />
gegen die Politik Italiens heizten die Stimmung auf .<br />
1959 verließ die SVP, die Sammelpartei der beiden<br />
ethnischen Minderheiten, die Regionalregierung.<br />
Im September 1959 wurde die Südtirolfrage vor die<br />
Vereinten Nationen gebracht. Während Südtiroler<br />
Aktivisten mehrere Bombenanschläge verübten,<br />
antworteten die italienischen Behörden mit harter<br />
Repression. Eine gemischte Südtiroler-italienische<br />
Kommission („19er-Kommission“) wurde eingesetzt, um<br />
einen Kompromiss zu finden. Schritt <strong>für</strong> Schritt wurde<br />
ein neues Maßnahmenpaket, genannt „das Paket“,<br />
geschnürt, das Südtirol echte Autonomie verschaffen<br />
sollte. Eine knappe Mehrheit der SVP nahm dieses<br />
Paket am 23. November 1969 an, anschließend auch<br />
die österreichische und die italienische Regierung.<br />
Das italienische Parlament beschloss daraufhin ein<br />
neues Autonomiestatut <strong>für</strong> die Region und die beiden<br />
Provinzen Bozen und Trient, das am 20.1.1972 in Kraft<br />
trat. 128<br />
Das neue Autonomiestatut bildet einen integralen Teil<br />
der italienischen Verfassung. Das Paket bestand aus<br />
137 Einzelmaßnahmen: 97 erforderten die Abänderung<br />
des bisherigen Autonomie-statuts durch ein<br />
Verfassungsgesetz, 8 Durchführungsbestimmungen<br />
zu diesem Statut, 15 ordentliche Staatsgesetze,<br />
9 Verwaltungsdekrete und der Rest andere<br />
Verwaltungsmaßnahmen. Nach 20 Jahren intensiver<br />
Verhandlungen waren alle wichtigen Bestimmungen<br />
des Pakets umgesetzt. Am 22. April 1992 übermittelte<br />
Italien der Regierung in Wien eine entsprechende<br />
Note, worauf diese am 11.6.1992 vor den Vereinten<br />
Nationen offiziell erklärte, dass der Streit beigelegt<br />
worden war. Mit dem 2. Autonomiestatut (115 Artikel<br />
in 12 Kapiteln) wurden die Befugnisse der Region<br />
und der Provinzen neu definiert, wobei die Macht der<br />
beiden Provinzen im Vergleich zum 1. Statut erheblich<br />
ausgeweitet wurde. Beide Provinzen erhielten ein<br />
vergleichbares Maß an Autonomie, doch finden in<br />
Südtirol auch einige besondere Bestimmungen zur<br />
Zweisprachigkeit, zum Bildungswesen, zum ethnischen<br />
Proporz im öffentlichen Dienst, zur Toponomastik und<br />
zu Entscheidungsverfahren im politischen Bereich<br />
Anwendung. Ausgehend vom Pariser Vertrag zielt<br />
das Südtiroler Autonomiestatut auf die Erhaltung<br />
und kulturelle Entfaltung der deutschen und<br />
ladinischen Volksgruppe innerhalb des italienischen<br />
Staats. Doch gleichzeitig ist seine Autonomie eine<br />
Territorialautonomie, d.h. die erweiterten Befugnisse<br />
128 Der Text des Autonomiestatuts findet sich neben weiteren<br />
Rechtsquellen auf: http://www.provinz.bz.it/lpa/pule