Moderne Autonomiesysteme - Gesellschaft für bedrohte Völker
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3 Territorialautonomie am Werk<br />
Minderheiten. Den Gagausen wird das Recht auf<br />
Selbstbestimmung eingeräumt, wenn Moldawien –<br />
wie von einigen nationalistischen Kräften angestrebt<br />
– den Anschluss an Rumänien anstreben sollte, was<br />
von Gagausen, Russen und anderen Minderheiten<br />
abgelehnt wird.<br />
Von besonderem Interesse ist auch das Verfahren zur<br />
Festlegung des autonomen Territoriums. Laut Art. 6<br />
des Autonomie-gesetzes soll Gagausien jene Gebiete<br />
einschließen, in welchen die gagausische Bevölkerung<br />
mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmacht.<br />
Ortschaften, in welchen Gagausen weniger als die<br />
Hälfte der Bevölkerung bilden, können ins autonome<br />
Gagausien aufgenommen werden, wenn sich die<br />
Mehrheit der Wahlberechtigten in einem freien<br />
Referendum da<strong>für</strong> ausspricht. Dieses Referendum kann<br />
nur durch mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten<br />
erwirkt werden. Auf demselben Wege kann eine<br />
Ortschaft auch wieder aus Gagausien austreten,<br />
allerdings nicht vor Ablauf eines Jahres seit ihrem<br />
Beitritt. 199<br />
Gagausiens höchste politische Vertretung ist die<br />
„Volksversammlung“, die innerhalb der zugeteilten<br />
Befugnisse gesetzgebende Gewalt ausübt. Die<br />
Versammlung wird direkt alle vier Jahre gewählt,<br />
wobei jede Gemeinde Gagausiens mindestens einen<br />
Abgeordneten entsenden muss. Art. 12 führt den<br />
Kompetenzbereich der Versammlung an:<br />
1. Wissenschaft, Kultur und Bildungswesen<br />
2. Sozialer Wohnungsbau<br />
3. Die öffentliche Verwaltung und Raumord-nung<br />
3. Gesundheitsdienste, Sport und Freizeit<br />
4. Lokalfinanzen, lokales Steuerwesen<br />
5. Wirtschaft<br />
6. Umweltschutz und Ökologie<br />
7. Arbeitsrecht und soziale Sicherheit<br />
Das autonome Gagausien erkennt drei Sprachen als<br />
Amtsprachen im Verkehr mit öffentlichen Behörden<br />
an: Moldawisch, Gagausisch und Russisch. Auf<br />
wirtschaftlichem Gebiet überträgt der Staat der<br />
Volksversamm-lung alle wichtigen Befugnisse wie<br />
z.B. Eigentumsrechte, die regionale Wirtschaftspolitik<br />
und das regionale Budget. Laut Art. 18 (2)<br />
des Autonomiegesetzes wird die genaue Beziehung<br />
zwischen Gagausien und dem Zentralstaat mit<br />
einem Staatsgesetz geregelt. Der Chef der Abteilung<br />
<strong>für</strong> nationale Sicherheit in Gagausien und der Chef<br />
199 Artikel 8 (6) des Autonomiegesetzes Gagausiens beschränkt<br />
dieses Recht auf jene Gemeinden, in welchen Gagausen weniger als<br />
50% der Bevölkerung stellen.<br />
der Abteilung innere Angelegenheiten Gagausiens<br />
werden von den entsprechen-den Staatsministerien<br />
ernannt bzw. entlassen, jedoch auf Vorschlag des<br />
bashkan, des Präsidenten der Autonomen Region,<br />
mit Zustimmung der Volksversamm-lung. Die lokalen<br />
Behörden koordinieren die Gemeindepolizei und<br />
Polizeikommissariate, während die sogenannten<br />
Carabineer-Einheiten (Sonderpolizei) den zentralen<br />
moldawischen Behörden unterstehen.<br />
Die Gerichtsbarkeit von Gagausien prüft zivil- und<br />
strafrechtliche Fälle aller Art und koordiniert die<br />
Justiz. Die Richter und das Gerichtspersonal werden<br />
auf Vorschlag der Volksversammlung per Dekret vom<br />
Präsidenten Moldawiens ernannt. Der Vorsitzende des<br />
Gerichts ist ex officio auch Mitglied des Höchstgerichts<br />
Moldawiens. Auch die Richter und Staatsanwälte von<br />
Gagausien werden in einem ähnlichen Verfahren<br />
bestellt.<br />
Das gagausische Parlament verfügt über weitere<br />
wichtige Befugnisse, wie etwa die territoriale<br />
Organisation Gagausiens, die Mitwirkung an der<br />
Politik des Zentralstaats Moldawien, wenn Gagausien<br />
betroffen ist, die Organisation der lokalen Verwaltung,<br />
das Wahlrecht und Abstimmungen über Symbole und<br />
Sprachenregelungen. Weitere Befugnisse betreffen<br />
Notstandslagen: die Vollversammlung kann in solchen<br />
Fällen das Parlament Moldawiens ersuchen, in Gagausien<br />
den Notstand zu erklären und eine Sonderverwaltung<br />
zu führen. Wenn Gesetzesbestimmungen des<br />
Zentralstaats die Kompetenzen Gagausiens verletzen,<br />
kann die Volksversammlung dies vor dem Verfassungsgericht<br />
in Chisinau anfechten. Darüber hinaus kann<br />
die Versammlung auch an der Gestaltung der Innenund<br />
Außenpolitik Moldawiens mitwirken.<br />
Die Exekutive der autonomen Region wird vom<br />
bashkan, dem Präsidenten der Region, geleitet, der auf<br />
vier Jahre von der Bevölkerung Gagausiens in direkter<br />
Wahl gewählt wird. Die gagausische Regierung wird<br />
in Art. 6 und 17 als „Exekutivkomitee Gagausiens“<br />
definiert. Sie wird auf Vorschlag des bashkan von<br />
der Volksversammlung nominiert und verfügt über<br />
folgende Befugnisse: 200<br />
1. die Umsetzung der Verfassung und der<br />
Gesetze Moldawiens sowie der Gesetze der<br />
Volksversammlung;<br />
2. die Mitwirkung bei zentralen Verwaltungsinstanzen<br />
Moldawiens, immer dann,<br />
200 Priit Järve (2005), S. 438; Chim, Jeff/Roper, Steven, Territorial<br />
Autonomy in Gagauzia”, in: Nationality Papers 26 (1998), S.<br />
90-91<br />
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